Lange ist es her, dass auf diesem Blog ein neuer Wissenshappen erschienen ist… Doch das hat nichts damit zu tun, dass mein Wissenshunger gestillt sein könnte – im Gegenteil. Tatsächlich habe ich mich im letzten Jahr noch weitaus intensiver mit der Erd- und Menschheitsgeschichte beschäftigt als jemals zuvor. Das Ergebnis könnt ihr nun in gedruckter Form vorfinden: In meinem Buch Allgemeinwissen für Neugierige – Vom Urknall bis zur Neuzeit: Spannende Fakten aus einer Zeitreise durch Geschichte, Wissenschaft und Kultur* versuche ich, die Entwicklung unserer Spezies anhand großer historischer Ereignisse, akademischer Errungenschaften und herausragender Persönlichkeiten anschaulich und unterhaltsam zusammenzufassen. Falls ihr also die Wissenshappen in „ungekürzter“ Version erleben wollt, freue ich mich, wenn ihr meine Leidenschaft für das Wissen durch einen Buchkauf unterstützt.
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Nachdem ich mir den Traum von einer Buchveröffentlichung erfüllen durfte, möchte ich das Jahr 2024 nach über elf Monaten Pause mit einem neuen Artikel beenden – mit dem festen Vorsatz, in 2025 wieder regelmäßig zu veröffentlichen. Und da wir im Ende eines Jahres immer einen bedeutungsvollen Abschluss sehen, soll auch dieser letzte Wissenshappen in 2024 einem wichtigen Ende gewidmet werden: Dem historisch bedeutsamen Ableben bekannter Persönlichkeiten, das in der Wissenshappen-Serie „Wenn der Tod Geschichte schreibt“ besondere Würdigung findet.
Im Gegensatz zu den bisherigen Serienbeiträgen wollen wir uns dieses Mal nicht dem kuriosen Ende berühmter Personen (Teil I und Teil II) oder den tödliche Folgen wagemutiger Erfindungen (Teil III) widmen, sondern vielmehr dem tragischen Schicksal jener armer Seelen, die das Unglück hatten, zum letzten Todesopfer einer der großen Geißeln der Menschheitsgeschichte zu werden. Natürlich handelt es sich dabei um eine recht morbide Betrachtungsweise, doch das hat der Tod nun mal an sich – und vielleicht ist es in geringem Maße wünschenswerter, den rühmenden Abschluss einer langen Reihe bemitleidenswerter Schicksale zu bilden als ihren traurigen Auftakt oder dramatischen Höhepunkt.
Das Ende einer Ära – Anna Göldi, die letzte Hexe Europas
Eine Frau, die aufgrund ihres tragischen Ablebens sicherlich einen Platz in der Geschichtsschreibung verdient hat, ist die Schweizerin Anna Göldi, die im Jahr 1782 als „letzte Hexe“ der Schweiz zum Tode verurteilt wurde. Sie bildete damit das Ende einer über Jahrhunderte währenden Hetzjagd, die von religiösem Eifer, politischen Motiven und irrationalen Ängsten getrieben wurde und mutmaßlich mehr als 60.000 Menschen das Leben kostete.
Göldi, eine einfache Dienstmagd aus dem heutigen Schweizer Kanton St. Gallen, wurde beschuldigt, die Tochter ihrer wohlhabenden Dienstgeber in der Gemeinde Glarus verhext zu haben. Man warf ihr vor, dem Kind Stecknadeln in die Milch „gezaubert“ zu haben – ein Vorwurf, der aus heutiger Sicht selbstverständlich absurd erscheint. Doch in einer Zeit, in der Aberglaube und religiöser Fanatismus das Rechtssystem prägten, genügte solch eine Anschuldigung, um eine Anklage zu rechtfertigen. Unter Folter gestand die unglückselige Angestellte das angebliche Verbrechen sowie einen Pakt mit dem Teufel. Am 13. Juni 1782, nur eine Woche nach ihrer Verurteilung durch den Evangelischen Rat der Gemeinde, starb Anna Göldi durch das Schwert des Scharfrichters – der grausame Tod auf dem Scheiterhaufen blieb ihr erspart, auch wenn ihr dies nur ein schwacher Trost gewesen sein mag.
Die Dienstmagd & der Teufel – Tod auf deutschem Boden
Schon zu Lebzeiten löste der Prozess gegen Anna Göldi in ganz Europa, das sich im Zeitalter der Aufklärung zunehmend für die Rechte des Einzelnen einsetzte, eine Welle der Empörung aus. Darüber hinaus lag die Gerichtsbarkeit über Göldi aufgrund ihrer Herkunft eigentlich bei einem anderen Gericht als jenem der Gemeinde Glarus, das das fatale Urteil über sie verhängte; selbst nach damaligen Standards waren der Prozess und das folgenschwere Urteil rechtlich ungültig. Heute wissen wir zudem, dass hinter der Verurteilung der unglücklichen Magd persönliche Motive steckten: Vermutlich wurde sie Opfer einer Intrige, die aus einer angeblichen Affäre mit ihrem Dienstherrn und familiären Streitigkeiten resultierte, die neben Göldis Verurteilung auch den Selbstmord einer weiteren unschuldigen Person zur Folge hatte.
Nicht weniger tragisch ist das Schicksal von Anna Maria Schwegelin, die als letzte verurteilte „Hexe“ auf deutschem Boden gilt. 1775 wurde die Dienstmagd im bayerischen Kempten wegen ihrer angeblichen Beziehung zum Teufel zum Tode verurteilt. Anders als Anna Göldi blieb ihr jedoch die Hinrichtung erspart: Die Vollstreckung ihres Urteils wurde ausgesetzt und der Fall geriet in Vergessenheit, bis Schwegelin in ihrem Allgäuer Gefängnis 1781 den Tod fand – ein Jahr vor der Hinrichtung Anna Göldis, der vermeintlich letzten Hexe Europas.**
Kampf den Pocken – Der Siegeszug der modernen Medizin
Die Hexenverfolgungen vergangener Jahrhunderte und ihre unzähligen Opfer verdanken wir unserer eigenen Irrationalität. Doch glücklicherweise konnte der menschliche Geist im Laufe der Geschichte auch dazu beitragen, das unnötige Leid unschuldiger Menschen zu lindern. Als bestes Beispiel unserer beeindruckend konstruktiven Schaffenskraft dient die Entwicklung der Medizin (in diesem Kontext empfehle ich euch die Wissenshappen über die Entdeckung des Penicillins sowie die Geschichte der Chirurgie und der Pharmakologie), darunter insbesondere die Erfindung des Prinzips der Immunisierung.
Impfskeptiker und -gegner müssen an dieser Stelle ganz tapfer sein: Ja, die Erfindung von Impfstoffen stellt für die Menschheit einen Segen dar – und nichts verdeutlicht das so beeindruckend wie die weltweite Bekämpfung der Pockenkrankheit. Dank einer globalen Kampagne der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 1970er-Jahren gilt jene furchtbare Infektionskrankheit, die Jahrtausende lang wütete und Abermillionen das Leben kostete, seit 1980 offiziell als ausgerottet. Und das ist auch gut so, denn mit einer Letalitätsrate von etwa 30 Prozent und den teils grausamen Symptomen (allen voran die namensgebenden Hautbläschen) sowie Spätfolgen wie Narben, Blindheit und Lähmungen sollten wir froh sein, von dieser schrecklichen Krankheit verschont zu bleiben, die u.a. die indigenen Völker Nord- und Südamerikas nach der Heimsuchung europäischer Kolonialisten millionenfach dahinraffte.
Das Virus & die Fotografin – Janet Parkers einsames Schicksal
Doch dieser Wissenshappen ist nicht der Geschichte der Pocken gewidmet, sondern ihrem letzten Todesopfer: Janet Parker, eine 40-jährige Fotografin in der medizinischen Abteilung der Universität von Birmingham. Am 11. August 1978 entwickelte die nichtsahnende Britin erste Symptome einer Krankheit, die sie zunächst für die Grippe hielt. Als sich ihr Gesundheitszustand über die nächsten Tage rapide verschlechterte und eitrige Blasen auf ihrem Körper erschienen, behandelten ihre Ärzte sie zunächst mit Verdacht auf die Windpocken.
Da die Behandlung fehlschlug, keimte über die nächsten Tagen ein schrecklicher Verdacht auf: War es möglich, dass die Britin an der unheilvollen Pockenkrankheit litt? Eine Infektion mit dem im Vorjahr vermeintlich ausgerotteten Virus schien zunächst undenkbar, doch ein medizinisches Krisenteam vor Ort bestätigte, dass Parker tatsächlich an den Pocken erkrankt war. Wie sie sich infiziert hatte, bleibt bis heute ungeklärt. Vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Pockenlabor der Universität Birmingham, das sich in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsplatzes befand.
Für Janet Parker war die Frage nach dem Warum vielleicht auch zweitrangig: Nach wochenlangem Leid starb sie am 11. September 1978 in strenger Isolation.
Das letzte Sterben – Ein Leben nach den Pocken
Janet Parker war nicht das einzige Todesopfer jenes einmaligen Wiederauftretens der Pockenkrankheit: Ihre Mutter infizierte sich ebenfalls, überlebte jedoch. Ihr Vater hingegen erlitt vermutlich aufgrund der belastenden Situation am 5. September einen tödlichen Herzinfarkt. Etwa zur selben Zeit beging Henry Bedson, der Leiter des Pockenlabors, Selbstmord – er fühlte sich für Parkers Infektion verantwortlich, die irgendwie mit seinen Laborproben begonnen haben musste. Obwohl er posthum von jeglicher Schuld freigesprochen wurde, bleibt das Rätsel um die Ursache ungelöst.
Nach Janet Parkers Tod sollte kein Mensch jemals mehr der Pockenkrankheit erliegen. Dank des Einsatzes der WHO ist die Pockenimpfung heute nicht mehr erforderlich – was doch das wichtigste Ziel eines jeden Impfgegners sein sollte.
Mit diesen mahnenden Worten möchte ich das Jahr 2024 abschließen und freue mich darauf, euch 2025 wieder bei den Wissenshappen begrüßen zu dürfen. Euch allen ein frohes, und vor allem gesundes, neues Jahr!
**Die Geschichtsschreibung ist sich über die tatsächlich „letzte Hexe Europas“ uneinig. Auch die polnischstämmige Schäferin Barbara Zdunk, die 1806 in Preußen wegen Brandstiftung hingerichtet wurde, wird für diesen undankbaren Titel in Betracht gezogen. Da jedoch Hexerei zu ihrem Todeszeitpunkt in Preußen keinen Straftatbestand mehr darstellte, erhält Anna Göldi heutzutage oft den Vorzug.
Nachschlag?
Isermann, B. (2024). Allgemeinwissen für Neugierige – Vom Urknall bis zur Neuzeit: Spannende Fakten aus einer Zeitreise durch Geschichte, Wissenschaft und Kultur.* Frankfurt am Main, Deutschland: Verlagshaus Stopfer.
Kasperski, F. (2017, 22. August). Letzte Hexe? „Es wäre schlimm, Anna Göldi zu vergessen.“ Abgerufen 28. Dezember 2024 von https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/letzte-hexe-es-waere-schlimm-anna-goeldi-zu-vergessen
Wikipedia (2024). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 28. Dezember 2024 von https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_G%C3%B6ldi
Stark, F. (2022, 13. Dezember). Anna Maria Schwägelin. Kalt waren Glied und Samen – das letzte Todesurteil über eine Hexe. Abgerufen 28. Dezember 2024 von https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article229918249/Hexenverfolgung-Glied-und-Samen-waren-kalt-das-letzte-Todesurteil-ueber-eine-Hexe.html
Wikipedia (2024). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 28. Dezember 2024 von https://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Maria_Schwegelin
Rimmer, M. (2018, 10. August). How smallpox claimed its final victim. Abgerufen 30. Dezember 2024 von https://www.bbc.com/news/uk-england-birmingham-45101091
Williams, S. (2020, 21. November). ‘It was a total invasion’: the virus that came back from the dead. Abgerufen 30. Dezember 2024 von https://www.theguardian.com/science/2020/nov/21/it-was-a-total-invasion-the-virus-that-came-back-from-the-dead
Wikipedia (2024). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 30. Dezember 2024 von https://de.wikipedia.org/wiki/Pocken
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Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, per E-Mail Kontakt aufzunehmen.