Written by: Medizin Wissenschaftsgeschichte

Der große Schnitt: Frauen in der modernen Chirurgie

Reading Time: 8 minutes

Auch wenn dieser Beitrag ein paar Tage zu spät kommt, so sollen auch die Wissenshappen einen kleinen Beitrag zum Internationalen Frauentag leisten, der seit über 100 Jahren am 08. März gefeiert wird. Denn auch ich bin eine Frau, und ein gleichberechtigtes Leben war für mich immer das oberste Ziel – und eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Da ich das Glück habe, in einem Medizinerhaushalt aufgewachsen zu sein, in dem das weibliche Elternteil der Mediziner war, ist es für mich seit jeher ganz normal, dass sich Frauen und Männer auf Augenhöhe begegnen. Und dass eine Frau den höheren akademischen Titel besitzen kann, oder sogar die gewinnbringendere Karriere – oder dass sie sich auch ohne Gendersternchen als „Mediziner“, „Arzt“ oder „Doktor“ versteht.*

Keine Zeit? Hier gehts zur Zusammenfassung! Keinen Artikel mehr verpassen? Melde dich hier zu unserem E-Mail Newsletter an.

Aber ich weiß natürlich, und bedauere sehr, dass nicht jeder mit einem solchen Selbstverständnis und Selbstvertrauen aufwachsen durfte oder konnte wie ich. Und auch ein Blick in die Geschichte der Medizin bestätigt leider, dass Frauen einen langen und harten Weg hinter sich haben, um zu einem gleichberechtigten Teil der Ärzteschaft zu werden.

Die Medizingeschichte ist geprägt von hartnäckigem Sexismus – aber da sie gleichzeitig überaus unterhaltsam und teils mehr als grotesk ist (wie ihr beispielsweise dem letzten Wissenshappen über die pharmazeutische Behandlung des 19. und 20. Jahrhunderts entnehmen könnt), lohnt sich ein Blick auf die Rolle der Frau in der Medizin nicht nur für engagierte Genderkämpfer – sondern für jeden mit Freude am Wissen, ganz egal welchen Geschlechts.

„Du darfst nicht heilen“ – Die mittelalterliche Verbannung der Frau aus der Medizin

Entgegen der äußerst kritischen Einleitung dieses Artikels kann nicht pauschal festgehalten werden, dass Frauen seit Menschengedenken grundsätzlich von der medizinischen Praxis ausgeschlossen waren. So wurden beispielsweise im alten Ägypten Ärztinnen ausgebildet, und auch medizinisch versierte griechische Sklavinnen wurden im 2. Jahrhundert v. Chr. auf dem Sklavenmarkt äußerst geschätzt und hoch gehandelt. (Auch wenn Sklavenhandel dieses ohnehin schon pikante Thema nicht unbedingt besser macht.) Im 12. Jahrhundert wurde gar mit der „Trotula“ das erste medizinische Sammelwerk unter Mitwirkung einer Frau (einer gewissen Trota von Salerno) veröffentlicht. Diese Sammelschrift war zwar gefüllt mit teils äußerst kuriosen Handlungsempfehlungen, unterschied sich in dieser Hinsicht aber kaum von den ebenfalls seltsamen Behandlungsmethoden männlicher Ärzte.

Im guten alten Mittelalter, das an sich bereits eine äußerst düstere Periode darstellt, wurden Frauen schließlich systematisch und kategorisch aus der Medizin und Heilkunde ausgeschlossen. Sogar Hebammen, deren Beruf seit jeher von Frauen ausgeübt wurde, mussten Verfolgung und drakonische Strafen der Kirche fürchten. Und im England des 16. Jahrhunderts proklamierte König Heinrich VIII. gar:

„Kein Zimmermann, Schmied oder Weber und keine Frau soll den Beruf des Chirurgen ausüben!“

Eine richtige Ärztezunft existierte im Mittelalter und auch der frühen Neuzeit aber ohnehin nicht: stattdessen wurde die Behandlung von Wunden oder die Entfernung von Zähnen von Barbieren ausgeführt, die hauptberuflich für das Haareschneiden ihrer ausschließlich männlichen Kunden zuständig waren. Erst aus dieser – zum Teil äußerst groben – Handwerkerzunft entwickelte sich mit der Zeit das akademische Spezialgebiet der Chirurgie, die vermeintliche Königsdisziplin der Medizin. Das Symbol der Barbiere, ihre blau-rot-weiß gestreifte Stange, entstammt im Übrigen dieser frühen handwerklich-chirurgischen Tätigkeit: Die Farbgebung basiert auf den blutbespritzten weißen Verbänden, die die Barbiere als Werbung für ihre erfolgreichen Dienste an einem Stock vor ihrem Laden aushingen.

Messer, Säge und Geschrei – die Chirurgie des 19. Jahrhunderts

Auch nachdem sich die Chirurgie als eigener Zweig der Medizin weiterentwickelte und immer herausforderndere Operationen möglich wurden, blieb sie eine äußerst brutale, blutige und grauenhafte Angelegenheit – von der sich Frauen vielleicht gar nicht zu Unrecht fernhielten. Es wurde geschlitzt, geschnitten und gesägt, dass das Blut nur so spritzte – denn in Zeiten, in denen die Wunddesinfektion noch unbekannt war, musste verletztes Gewebe möglichst großflächig weggesäbelt werden, um eine tödliche Infektion oder das Absterben von Gewebe (eine sogenannte Gangrän) zu vermeiden. Und da die Narkose erst 1846 erfunden wurde (in diesem Wissenshappen erfahrt ihr mehr), war ein Chirurg umso angesehener, je schneller er das Messer schwingen konnte. Der Londoner Chirurg Robert Liston wurde beispielsweise als „fastest knife in the West End“ berühmt, weil er Messer und Säge so schnell bediente, dass ihm die Zuschauer kaum folgen konnten – auch wenn er dafür gerne mal andere Körperteile der Patienten versehentlich erwischte und z.B. eine Hand, einen Hodensack oder ein Bein gleich mit entsorgte.

Nein, die prä-moderne Chirurgie war wirklich keine saubere, kultivierte Angelegenheit. Und sie war auch nicht sonderlich rational, trotz oder gerade wegen der männlichen Prägung. Denn die Chirurgen des 19. Jahrhunderts, zumindest in Europa, waren von der Erfindung der Anästhesie alles andere als begeistert und sträubten sich jahrzehntelang gegen die neue Möglichkeit, ihre Patienten während einer Operation in einen seligen Schlaf zu versetzten.

anonym, Theodor Billroth, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Dieser unnötige Hang zum vermeintlichen Heldentum führte auch zu einer überzogenen Verehrung einzelner chirurgischer Koryphäen, wie z.B. des berühmten deutsch-österreichischen Mediziners Theodor Billroth. Natürlich leistete dieser in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit seinen innovativen und mutigen Operationen, darunter u.a. eine der ersten Magenresektionen, einen großartigen Beitrag zur Medizin. Als etwas sturer, weißer Mann verbreitete er aber das unnötige Dogma, dass Chirurgen sich niemals an das Herz eines Patienten wagen durften. Ein Grundsatz, den die moderne Herzchirurgie zum Glück ein wenig anders sieht.

Dr. James Barry – Chirurgin Undercover

Unknown author, James Barry, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Zu unserer aller Segen erhoben sich nicht nur moderne Chirurgen gegen die störrischen Glaubenssätze ihrer Vorgänger. Auch die Frauen begannen, sich gegen die Hürden und Verbote ihrer Zeit aufzulehnen – wenn auch zunächst im Verborgenen. So absolvierte die erste weibliche Chirurgin der europäischen Neuzeit, Margaret Anne Bulkley (ca. 1789-1865), ihr Medizinstudium und ihre gesamte berufliche Laufbahn verkleidet als Mann unter dem Decknamen Dr. James Barry. Erst nach ihrem Tod wurde aufgedeckt, dass dieser Arzt, dem als einem der ersten ein erfolgreicher Kaiserschnitt gelang, tatsächlich eine Frau gewesen war.

Hobart and William Smith Colleges Archives, Elizabeth Blackwell (M.D.), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Anders als Dr. Barry wollte die Angloamerikanerin Elizabeth Blackwell (1821-1910) ihre Identität nicht verstecken, als sie sich mit Anfang 20, nachdem eine todkranke Freundin sie dazu drängte, für eine medizinische Ausbildung entschied. Nach 16 erfolglosen Bewerbungen an amerikanischen Universitäten wurde sie Mitte der 1840er Jahre am Geneva Medical College in New York nach einem Votum ihrer Kommilitonen akzeptiert – wobei nicht bekannt ist, ob diese aus Gründen der Fairness zustimmten oder weil sie überzeugt waren, dass die weibliche Konkurrentin erfolglos scheitern würde. Anstatt sang- und klanglos unterzugehen, schloss diese ihr Medizinstudium im Jahr 1849 jedoch nicht nur als erste US-Amerikanerin, sondern zudem als Jahrgangsbeste ab.

Unknown author, Mary Edwards Walker, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Trotz ihrer überaus erfolgreichen Ausbildung gelang es Elizabeth Blackwell nie, als Chirurgin Fuß zu fassen, da sie aufgrund ihres Geschlechts jahrelang keine passende Anstellung finden konnte. Dieser Schritt war wiederum Mary Edwards Walker (1832-1919) überlassen, die nach Elizabeth Blackwell als zweite Frau ein Medizinstudium in den USA abschloss und im amerikanischen Bürgerkrieg schließlich als Militärchirurgin rekrutiert wurde. Für diese Aufgabe wurde sie sogar mit der höchsten militärischen Auszeichnung der amerikanischen Regierung, der Medal of Honor, ausgezeichnet – als bisher einzige Frau.

Wer jetzt den Amerikanern himmelschreienden Sexismus unterstellen möchte, der sei darauf hingewiesen, dass Frauen in Deutschland erst im Jahr 1902 die Zulassung zum Medizinstudium erlaubt wurde. Auch die offiziell erste deutsche Chirurgin, Elisabeth Winterhalter (1856-1952), konnte erst im Jahr 1903 ihre Approbation in Deutschland offiziell erwerben, obwohl sie bereits Jahre zuvor eine Poliklinik in Frankfurt am Main eröffnet hatte.

Die hoffentlich bunte Zukunft der Medizin

Der eklatante Mangel an Frauen in der Medizin(-geschichte) ist nicht nur ein trauriges Mahnmal der Unterdrückung der Frau, sondern hat zudem eine signifikante Benachteiligung in der medizinischen Versorgung zur Folge. Denn auch heute noch bestimmen die körperlichen und hormonellen Durchschnittsbedingungen von westlichen Männer die medizinische Forschung, Diagnostik und Therapie, so dass die (teils atypischen) Symptome von Frauen, beispielsweise bei schweren Herzerkrankungen, nicht erkannt und oft genug falsch behandelt werden – mit dramatischen Folgen bis hin zum Tod. Männern verursachen uns Frauen also nicht nur in romantischer Hinsicht Herzschmerz, sondern leider auch in medizinischer.

Wenn wir aber die Erfolge der Frauen in der westlichen Medizin allein in den letzten 200 Jahren betrachten, bin ich dennoch optimistisch, dass auch die nächsten 200 Jahre von Fortschritt geprägt sein werden. So lässt zum Beispiel der Frauenanteil unter allen berufstätigen Ärzten und Ärztinnen, der in Deutschland im Jahr 2021 immerhin 48,5% betrug, definitiv hoffen – selbst wenn in der Chirurgie mit einem Frauenanteil von 22,8% noch Nachholbedarf besteht. Darüber hinaus zeigen die aktuellen Ansätze und Untersuchungen der geschlechtersensiblen Medizin, die biologische Unterschiede in der ärztlichen Diagnostik und Behandlung berücksichtigt, dass auf vielen Ebenen ein Umdenken stattfindet – und hoffentlich alle Geschlechter (und damit meine ich wirklich alle) zukünftig die gleichen Chancen auf eine faire und angemessene Behandlung erhalten werden.

In der Zwischenzeit sollten wir bereits dankbar sein, dass wir nicht mehr auf dem blutigen Operationstisch eines heldenhaften Chirurgen des 19. Jahrhunderts landen müssen – egal ob als Mann, Frau oder divers.

*Aus diesem Grund verzichte ich ganz bewusst auf das Gendersternchen. Ich beziehe explizit alle Geschlechter in einen Beruf, Titel oder eine Bezeichnung mit ein. Wer sich daran stört, den muss ich leider an andere Quellen für gendergerechte Texte verweisen (z.B. den ÖRR).

Du möchtest dein Wissen testen? Dann nimm unbedingt am großen Wissenshappen Quiz teil!

Nachschlag?

Van de Laar, A. (2014). Schnitt! Die ganze Geschichte der Chirurgie erzählt in 28 Operationen* (Vollständige Taschenbuchausgabe November 2016, S. 73, 105, 340-355). München, Deutschland: Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Kang, L. & Pedersen, N. (2019). Abgründe der Medizin. Die bizarrsten Arzneimittel und kuriosesten Heilmethoden der Geschichte* (6. Aufl., S. 64-66). München, Deutschland: riva Verlag.

Wirtzfeld, D. (2009). The history of women in surgery. Canadian Journal of Surgery, 52 (4), 317-320. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2724816/

Bundesärztekammer (2022). Ergebnisse der Ärztestatistik zum 31.12.2021. Abgerufen 05. März 2023 von https://www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/aerztestatistik-2021

Techniker Krankenkasse (2022). Warum wir geschlechtersensible Medizin brauchen. Abgerufen 05. März 2023 von https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/themenspecials-life-balance/frauengesundheit/warum-wir-geschlechtersensible-medizin-brauchen-2126728?tkcm=ab

Wikipedia (2023). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 11. März 2023 von https://de.wikipedia.org/wiki/James_Barry_(Mediziner), https://de.wikipedia.org/wiki/Elizabeth_Blackwell_(Medizinerin), https://en.wikipedia.org/wiki/Mary_Edwards_Walker & https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Winterhalter

*Hierbei handelt es sich um einen Amazon Affiliate Link / Werbelink. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen.

Warum gibt es diesen Wissenshappen?

Frauen sind aus der Welt der modernen Medizin nicht wegzudenken – weder als Patientinnen noch als Ärztinnen. Doch die Repräsentation des weiblichen Geschlechts in der Medizin, insbesondere der Chirurgie, war nicht immer selbstverständlich. Zwar waren weibliche Heilkundige im Altertum keine Seltenheit, doch im Mittelalter wurden Frauen rigoros aus sämtlichen Arzt- und Heilberufen verbannt. Erst im frühen 19. Jahrhundert nahmen einige mutige und entschlossene Frauen den erneuten Kampf um die Gleichbehandlung und Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in der Medizin wieder auf, bei dem sie zu teils außergewöhnlichen Mitteln greifen mussten.

Was sollte unbedingt verdaut werden?

Historische Schriften und Funde bezeugen, dass bereits im Altertum sowohl Männer als auch Frauen eine medizinische Ausbildung erhalten durften und Frauen, z.B. im alten Ägypten, als Ärztinnen oder Heilkundige tätig waren. Dieser Zugang zur Medizin änderte sich jedoch vollständig, als Frauen im Mittelalter von Kirchenangehörigen und weltlichen Herrschern fast vollständig aus der ärztlichen Praxis verbannt wurden. Erst in der Zeitenwende zur modernen Chirurgie, als primär blutliebende und vermeintlich heldenhafte Chirurgen die Medizinwelt regierten, erkämpften Frauen wie Mary Edwards Walker ihren Platz am OP-Tisch – und die offizielle Zulassung zum Medizinstudium.

Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.

(Visited 196 times, 1 visits today)
Schlagwörter: , , Last modified: 12. September 2023