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In himmlischen Sphären – die fabelhafte Kosmologie des Mittelalters

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Das Leben im 21. Jahrhundert kann überaus verwirrend sein: noch nie durften wir im Verlauf der Menschheitsgeschichte ein vergleichbares Maß an Bildung, Gesundheit und Sicherheit genießen. Technische Revolutionen und Annehmlichkeiten wie die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, das mittlerweile altbewährte Internet und die unverzichtbaren Plattformen der Social Media ermöglichen es uns jederzeit, über das Geschehen auf der Welt informiert zu bleiben, Hintergründe zu recherchieren und den Diskurs mit unseren Mitmenschen zu suchen. Eine schöne neue Welt – und doch ist die Realität oft geprägt von Angst, Unsicherheit, Wut, anonymem Hass und einem unendlichen Wirrwarr an Überzeugungen, Weltansichten und der neumodernen, alles dominierenden „eigenen Wahrheit“.

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Und so sind wir, in gewissem Sinne, kaum einen Schritt weitergekommen als unsere Vorfahren vermeintlich primitiverer, gar düsterer Zeiten, die wir heute aufgrund ihres Unwissens belächeln, bedauern und oft genug verspotten. Dabei vergessen wir jedoch, dass die Menschen vergangener Zeiten nicht anders handelten als wir: im Rahmen ihrer jeweils vorhandenen Möglichkeiten. Die berüchtigten Fake News unserer Zeit existierten bereits vor hunderten von Jahren, und umgekehrt leben die Vielfalt und Absurdität vergangener Weltanschauungen auch heute noch in uns weiter. Nicht nur in den verwirrten Individuen der unbelehrbaren Flat Earth Society, sondern auch in rechts- und linkspolitischen Schwurbeleien, dem unwiderlegbaren Glauben an die überaus widerlegbare Homöopathie oder dem grünbürgerlichen Reflux, der tagtäglich unsere Social Media Feeds mit dem moralisch-verlogenen Zeigefinger der Wohlstandverblödung zersetzt.

In Anbetracht des geistigen Wahnsinns, der uns Tag für Tag entgegenflutet, finde ich es nahezu erfrischend, in die absurden und naiven, aber äußerst kreativen Überzeugungen unserer Vorfahren abzutauchen. Und was könnte sich dafür besser eignen als das kuriose Weltbild des europäischen Mittelalters?

Des Pudels Kern – die Erde im Zentrum des mittelalterlichen Kosmos

Zu Beginn des mittelalterlichen Weltbildes sollten wir vermutlich mit dem Kern jener vergangenen Weltanschauung selbst beginnen: denn wie heutzutage jedes Schulkind weiß, waren unsere Vorfahren der festen Überzeugung, dass die Erde im Zentrum des Universums ruht und von der Sonne, dem Mond und den anderen (damals fünf bekannten) Planeten umkreist würde. Dieses geozentrische Weltbild, zu Ehren des antiken Mathematikers Claudius Ptolemäus auch ptolemäisches Weltbild genannt, war bis zum 17. Jahrhundert theologisch und wissenschaftlich so anerkannt, dass mögliche Kritiker mit Spott, Verachtung oder, im schlimmsten Fall, dem Zorn und der Verfolgung der Kirche rechnen musste.

Nicolai Copernici, vector format by Scewing, Copernican heliocentrism theory diagram, gemeinfrei, Wikimedia Commons

Nikolaus Kopernikus, der (äußerst widerwillig) mit seinem astronomischen Lebenswerk „Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären“ 1543 ein wissenschaftlich begründetes Gegenmodell lieferte, starb im Jahr der Veröffentlichung und entging damit den teils scharfen Angriffen auf seine Person und Arbeit. Andere Gelehrte hatten weniger Glück: der italienische Geistliche und Astronom Giordano Bruno fand aufgrund seiner visionären Vorstellungen vom Universum als unendlichen Raum ohne Zentrum im Jahr 1600 den Tod auf dem Scheiterhaufen. Und der Wissenschaftsrebell Galileo Galilei wurde 1633 bekanntermaßen für seine astronomischen Beobachtungen und Ableitungen, die das heliozentrische Modell Kopernikus‘ unterstützten, von der Inquisition unter lebenslangen Hausarrest gestellt.

Die Hintergrundmusik des Mittelalters – Kristallsphären göttlicher Ordnung

Die mittelalterliche Kosmologie beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Position der Erde innerhalb des Universums. Um das ptolemäische Weltbild trotz teils unübersehbarer astronomischer und physikalischer Unzulänglichkeiten zu bewahren, erarbeiten zahllose Geistesgrößen ein wundersames Konstrukt des Kosmos, in dem alles in (göttlicher) Ordnung und Harmonie existierte. Sonne, Mond und die Planeten rotierten, so glaubte man, in Kristallschalen um die Erde, wodurch wiederum die sogenannte Sphärenmusik erzeugt wurde, die unter anderem in Goethes Lebenswerk des „Faust“ Erwähnung findet:

„Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang.“

Diese Sphären lieferten nicht nur wunderbare Hintergrundmusik, sondern strukturierten ganz allgemein den mittelalterlichen Kosmos: Oberhalb des Mondes herrschten die Sphären des Mondes und der Sonne (die sogenannte translunare Welt), gefolgt von den Sphären der Planeten und der Fixsterne und schließlich den Kristallsphären, in denen die Heiligen, Geisteswesen (Engel) und letztlich natürlich Gott residierten. Doch Gott, der die Welt vor über 6.000 Jahren erschaffen hatte, war mehr als nur der entfernte Schöpfer, den wir heute kennen, sondern allgegenwärtig, wachsam und für den fortlaufenden Zusammenhalt des Universums verantwortlich. Durch Wunder konnte er aktiv in das Leben der Menschen eingreifen, und zu bestimmten Anlässen, z.B. der Spendung der Sakramente, schaute er sogar persönlich vorbei.

Bartolomeu Velho, Bartolomeu Velho 1568FXD, gemeinfrei, Wikimedia Commons

Die Sphären unterhalb des Mondes, die sublunare Welt, wurden wiederum den vier Elementen entsprechend eingeteilt: das Feuer herrschte unterhalb des Mondes, gefolgt von der Luft, dem Wasser und schließlich der Erde. Doch auch diese Unterteilung war nicht der Weisheit letzter Schluss, denn das Leben innerhalb der sublunaren Welt folgte einer weiteren Hierarchie. Die unterste Ebene bildete das Reich der Mineralien, gefolgt vom Reich des pflanzlichen und tierischen Lebens und schließlich dem Reich der Rationalität. Und so wie die Erde den Mittelpunkt des Makrokosmos bildete, ruhte auch der Mensch im Zentrum des Mikrokosmos des Lebens.

Alles steht Kopf – das Mittelalter und die „dark side of the earth“

Die irdische Welt an sich blieb für die Menschen der damaligen Zeit ebenfalls ein Mysterium. Auch wenn kaum ein gebildeter Zeitgenosse die Erde für eine Scheibe hielt, so herrschte dennoch der Glaube vor, dass der Großteil des Globus von einem riesigen Ozean bedeckt war, den kein Schiff jemals durchqueren könne. Die bekannten Landmassen Afrikas, Asiens und Europas, die Ökumene, galten als Ausbuchtungen auf diesem Riesenozean, die auf der Vorderseite der Erdkugel verortet waren. Die Rückseite hingegen bildete eine unüberbrückbare, lebensfeindliche Wasserwelt, in der höchstens grausige Seeungeheuer ihr Zuhause fänden.

Andreas Walsperger, Walsperger – Mappa mundi, gemeinfrei, Wikimedia Commons

Menschliches Leben auf der anderen Seite der Erde war aus Sicht der Gelehrten undenkbar und geradezu lachhaft, denn aufgrund der umgekehrten Naturgesetze müssten die Menschen mit den Füßen auf dem Kopf herumlaufen, Pflanzen würden von oben nach unten wachsen und Regen nach oben zur Erde fallen. Die Abweichung der Kompassnadel von der Position des Nordsterns, die wagemutige Seefahrer beobachteten, untermauerte diese Vorstellung – die magnetische Deklination durch den Unterschied zwischen magnetischem und geografischem Nordpol war damals noch unbekannt.

Die Menschen des Mittelalters zweifelten also nicht an der Existenz einer Rückseite der Erdkugel – es wollte nur niemand, dem das eigene Leben lieb war, dorthin reisen. Auch Christoph Kolumbus, der aufgrund eines Berechnungsfehlers in genau diese unbekannten Gefilde vordrang, verfolgte eigentlich einen anderen Plan und glaubte bis an sein Lebensende, dass er eine Alternativroute nach Asien entdeckt hatte und nicht einen neuen Kontinent auf der anderen Seite der bekannten Welt.

Übermut tut selten gut – wenn aus Gegenwart Geschichte wird

Die Kosmologie des Mittelalters mag uns heute, mit all dem Wissen, das wir von Kindesbeinen an erwerben und jederzeit mit nur einem Klick abrufen können, albern, abergläubisch und absurd erscheinen. Doch bevor wir uns dem Spott allzu genüsslich hingeben, sollten wir eines nie vergessen: auch wir und unsere Zeit werden eines Tages von nachfolgenden Generationen auf den Prüfstand gestellt – und ihr Urteil mag anders ausfallen, als sich viele von uns eingestehen mögen.

Und wenn ich manchmal in die Nachrichten schaue, egal ob aus privater oder öffentlich-rechtlicher Quelle, und die Weltanschauung so manches Zeitgenossen bekunden darf, dann bin ich mir nicht so sicher, dass wir die Welt der Mythen und Legenden wirklich schon verlassen haben.

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Nachschlag?

Schwanitz, D. (2002). Bildung. Alles, was man wissen muß (39. Auflage).* München, Deutschland: Wilhelm Goldmann Verlag.

Jaeger, L. (2020). Sternstunden der Wissenschaft. Eine Erfolgsgeschichte des Denkens.* Konstanz, Deutschland: Südwestverlag.

Wikipedia (2024). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 27. Januar 2024 von https://de.wikipedia.org/wiki/Kosmologie_des_Mittelalters

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Warum gibt es diesen Wissenshappen?

Die Erde ist eine Scheibe, Globuli heilen jedes Leid, und wer Grün wählt, kommt in den Himmel. Auch heute noch wird unsere Welt von Ansichten bestimmt, die als mehr oder weniger rational gelten dürfen. Doch dieses Schicksal ist so alt wie die Menschheit selbst, denn schon immer haben wir uns kreativen, naiven und oft genug absurden Überzeugungen hingegeben. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür liefert das kuriose Weltbild des Mittelalters, das einer wundersamen, fabelhaften und vor allem göttlichen Ordnung des Kosmos folgte. Und auch die Erde selbst war ein mystischer Ort, der zum großen Teil von einer riesigen, unüberbrückbaren Wasserwelt bedeckt wurde, in der höchstens grausige Seeungeheuer und physikalisch absurde Phänomene ihren Platz fanden. So sonderbar die Kosmologie des Mittelalters gewesen sein mag – im Vergleich zu den teils abstrusen und erschreckenden Ansichten moderner Zeitgenossen war die damalige Weltanschauung vielleicht gar nicht so primitiv, wie wir heute gerne glauben möchten.

Was sollte unbedingt verdaut werden?

Am Anfang war Gott, der vor über 6.000 Jahren die Erde erschuf. Seit diesem Schöpfungsakt lebte er jedoch nicht zurückgezogen, sondern wirkte aktiv in das Leben der Menschen ein. Sein Zuhause war die äußerste Kristallsphäre des Himmels, unter der sich die Sphären der Engel, der Heiligen und schließlich der Planeten verteilten. Die Planeten inklusive Sonne und Mond zogen auf festen Kristallbahnen in Kreisen um die Erde, die im Zentrum des Universums ruhte. Unterhalb des Mondes erstreckten sich die Sphären der vier Elemente: zuoberst kam das Feuer, dann die Luft, das Wasser und zuletzt die Erde selbst. In dieser sublunaren Welt herrschte das Reich des Lebens mit fester Hierarchie: die Basis bildete das Reich der Mineralien, gefolgt vom Reich der Pflanzen und der Tiere und schließlich der Rationalität. Im Zentrum dieses Mikrokosmos thronte der Mensch, so wie die Erde das Zentrum des Makrokosmos bildete. Auch das Leben auf der Erde war voller Geheimnisse: Auf der Rückseite der Erdkugel breitete sich eine riesige Wasserwelt aus, die kein Schiff jemals durchqueren könnte. Sollte es Leben geben, wäre es den Naturgesetzten in umgekehrter Form unterworfen – eine lachhafte und unmögliche Vorstellung. 

Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, per E-Mail Kontakt aufzunehmen.

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Schlagwörter: , , , Last modified: 30. Januar 2024