Wie nahezu jeder mir bekannte Mensch bin auch ich nach meiner Schulzeit voller Wünsche und Träume in meine Ausbildung gestartet – das Studium der Psychologie. Die mächtige Wissenschaft über den Geist und die Natur des Menschen, die uns hilft, Serienmörder zu verstehen, psychisch erkrankte Menschen von ihren Leiden zu befreien und natürlich die Gedanken unserer Mitmenschen zu lesen. Eine wunderbare Vorstellung, so motivierend, so aufregend – und vor allem: so falsch.
Da das Psychologiestudium zum Großteil aus zähen Vorlesungen zur Methodenlehre, endlosen Forschungsstudien, den Abgründen der Statistik und vielen weiteren unangenehmen Überraschungen besteht, möchte ich diese Wissenshappen-Serie nutzen, um die wirklich interessanten Theorien insbesondere der Sozialpsychologie mit all jenen zu teilen, die doch einfach nur ein bisschen mehr über den menschlichen Geist erfahren möchten. Diese Zusammenfassungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzen kein Psychologiestudium, bemühen sich aber um kleine Einblicke in jene menschlichen Interaktions- und Wahrnehmungsmuster, die das merkwürdige Verhalten unser manchmal absonderlichen Mitmenschen etwas nachvollziehbarer machen können.
Wenn jeder alles besser weiß, wer weiß es dann am besten?
Wir leben in einer Zeit, in der zahllose Plattformen für die Informationsbeschaffung oder den sozialen Austausch dem Großteil der Menschheit jederzeit zur Verfügung stehen. Wir können eigentlich nicht mehr nicht kommunizieren, auch wenn wir zuhause in unserem stillen Kämmerlein hocken, und vor allem können wir uns eigentlich nicht mehr nicht informieren. Und so kommt es, dass jeder einzelne von uns in den meisten Fällen und zu nahezu jedem Thema eine sehr starke Meinung besitzt und heutzutage schnell zum Top-Virologen, Impf-Experten und Star-Politologen aufsteigen kann – zumindest im eigenen Bekanntenkreis (oder darüber hinaus, wenn man nur laut genug auf Twitter herumkrakeelt).
An sich stellt dies auch noch kein größeres Problem dar. Doch je mehr Weisheit wir glauben zu besitzen und diese anderen Menschen aufzwingen möchten, umso wichtiger wird es, dass wir verstehen, dass wir nicht per se über die eine, echte, universelle Wahrheit verfügen – sondern aufgrund von sozialen Einflüssen bestimmten Überzeugungen folgen, die uns ein gewisses Gefühl von Sicherheit, von Rechthaben und Rechtmäßigkeit geben, egal ob sie nun richtig sind oder nicht.
Natürlich ist es einfach, die Meinung anderer abzukanzeln und die vermeintlich Dummen in verächtliche Schubladen zu stecken: die hirnlosen Querdenker und Impfgegner, die leichtgläubigen Impfbefürworter und Corona-Hysteriker, die durchgeknallten 5G-Gläubigen, die faulen Sozis und asozialen Liberalen, die vertrocknete CDU, die weltfremde SPD, die verbohrten Grünen und natürlich all jene Dummen, die den ÖRR abonniert haben (also ganz Deutschland). Aber wie bei vielem, was einfach einfach einfacher wäre, würden wir damit die Komplexität einer sozialen Gemeinschaft verharmlosen und den Einfluss unserer Mitmenschen auf den vermeintlich freien Geist verkennen. Denn das, was wir tun und sagen, ist leider nicht so unabhängig und einzigartig, wie wir uns das selbst gerne weismachen würden. Vielmehr wird es erheblich dadurch beeinflusst, in welchem Umfeld wir unser Wissen anreichern und an welchen Referenzwerten wir unser Handeln und Denken ausrichten.
Das Wundermittel gegen Komplexität? Konformität!
Auch wenn wir heute – sofern wir das Glück haben – in demokratischen Strukturen leben dürfen und das Gefühl haben, frei denken und handeln zu können, passen wir uns viel zu oft unbewusst an das an, was die Mehrheit (oder was wir dafür halten) für richtig hält. Da es nur selten eine objektive Wahrheit geben kann (davon bin zumindest ich persönlich überzeugt), ergibt dieses Verhalten auch durchaus Sinn, denn wenn viele Menschen einer Meinung sind, kann dies ein durchaus vernünftiger Orientierungspunkt sein. Im schlimmsten Fall irren wir uns zwar, aber zumindest irren wir uns nicht alleine. Außerdem ist es für das Überleben in einer sozialen Gemeinschaft angenehmer und stressfreier, wenn wir die Überzeugungen unserer Artgenossen übernehmen. Jeder Stammtisch lebt schließlich nicht von den unterschiedlichen Meinungen, sondern vor allem vom Schimpfen auf den gemeinsamen Feind. Sich gemeinsam aufzuregen kann so schön und therapeutisch sein!
Diese Tendenz, dass wir Einzelne uns den Verhaltensweisen und Meinungen einer Gruppe anschließen, wird als Konformität bezeichnet und durch zwei unterschiedliche Faktoren begünstigt. Einerseits verspüren wir den starken Wunsch, in einer Situation nicht unangenehm aufzufallen: wenn wir uns unsicher sind, werden wir uns natürlich an den vorhandenen Beispielen orientieren, beispielsweise bei der Nutzung des richtigen Tischbestecks. In diesem Fall passen wir unser Verhalten oder unsere Meinung an das an, was wir beobachten können – und erliegen damit dem sogenannten Informationseinfluss. Neben den vorhandenen Informationen ist es andererseits aber auch möglich, dass wir uns der Mehrheit anschließen, weil es schlicht unser Wunsch ist, anderen zu gefallen.
Wer hat die Längste? Das Asch-Experiment
Dieser sogenannte Normeneinfluss wurde durch die überraschenden Experimente des amerikanischen Psychologen Solomon Asch Mitte des 20. Jahrhunderts bekannt, in denen einer Versuchsgruppe drei gezeichnete, unterschiedlich lange Linien präsentiert wurden. Diese drei Linien sollten mit einer Standardlinie verglichen werden, die ganz offensichtlich dieselbe Länge besaß wie eine der drei Versuchslinien.
Trotz des offenkundig korrekten Ergebnisses stimmte ca. ein Drittel der Versuchspersonen für eine falsche Linie, wenn der Rest der Gruppe zuvor voller Überzeugung (und in geheimer Absprache mit dem Versuchsleiter) ebenjenes falsche Ergebnis wählte. Wider besseren Wissens oder der physikalischen Realität. Und das Schlimmste ist: weitere Untersuchungen zeigten, dass diese falschen Entscheidungen mit der Zeit in festverankerte Überzeugungen übergingen, die von einer Gruppe zur nächsten weitergegeben wurden, auch nachdem die ursprüngliche Quelle schon lange nicht mehr vorhanden war.
Aber bevor wir nun an der Standhaftigkeit der menschlichen Spezies zweifeln, sei darauf hingewiesen, dass die Versuchspersonen immerhin in zwei Drittel der Fälle am korrekten Ergebnis festhielten und sich nicht beirren ließen. Wir sind also nicht komplett verloren.
Der Weg des geringsten Widerstands ist einfach – aber nicht unbedingt richtig
Nun unterliegen wir leider nicht nur einem der beiden konformitätserzeugenden Einflüsse, sondern werden teils sowohl durch Informationen als auch Normen gesteuert: denn um zu gefallen, wenden wir uns gerne an eine bestimmte Gruppe, die für uns besonders relevant ist (z.B. weil wir sie bewundern, ihnen ähnlich sein wollen usw.). In diesem vorselektierten Umfeld wiederum suchen wir uns dann bevorzugt jene Informationen, die das vermeintlich richtige Verhalten aufzeigen. In der Anwendung erleben wir dieses Phänomen bereits in der täglichen Auswahl unserer bevorzugten Medien und Informationskanäle. Wenn wir nämlich eine bestimmte politische Überzeugung besitzen, tummeln wir uns eher auf einem meinungskonformen Informationsportal als auf einer Nachrichtenseite, bei der wir uns über die politische Einschätzung einer Situation ärgern oder gar (im schlimmsten Fall) unsere Weltsicht oder unser Verhalten hinterfragen müssten.
Und schon geraten wir in einen Strudel aus meinungskonformer Informationsbeschaffung und -bestätigung, der uns daran hindert, abweichende Meinungen wahrzunehmen und ernsthaft zu erörtern, ohne dass unsere eigene Meinung viel mit der Realität gemein haben muss. (Ein schönes Phänomen, das man z.B. in jeder “woken” Twitter-“Bubble” beobachten kann.) Das mag verwerflich klingen, ist aber höchst verständlich und nachvollziehbar, da wir Menschen einfach aufgrund der nahezu unendlichen Menge an Nachrichtenquellen eine gewisse Auswahl treffen müssen. Wir sollten diese subjektive Selektion jedoch nicht vergessen, wenn wir andere aufklären oder gar belehren möchten – und das gilt nicht zuletzt für mich selbst (auch wenn ich natürlich viel auf meine eigene Meinung gebe).
Die Mischung macht’s!
Kurz zusammengefasst soll das heißen: ja, es ist immer gut eine eigene Meinung zu haben und für diese einzustehen! Aber nein, nur weil wir diese Meinung besitzen, muss sie noch lange nicht richtig sein! Entscheidend ist, dass wir sie anhand von alternativen Informationen und Ansichten, auch oder insbesondere von Personen, mit denen wir uns eher wenig identifizieren, auf den Prüfstand stellen. Nur auf diese Weise können wir in einen fruchtbaren Dialog treten, bei dem es um die gemeinsame Wahrheitsfindung geht und nicht allein ums Rechthaben.
Nachdem ich nun doch ein wenig den Zeigefinger gehoben habe (und es im Zweifelsfall gar nicht besser mache, denn auch ich bin ein Mensch und handle konform), möchte ich es an dieser Stelle gut sein lassen, euch ein wenig Zeit zum Verdauen geben und diesen Wissenshappen in zwei Wochen fortsetzen. Dann werden wir uns mit der Frage beschäftigt, auf welche Weise andere Menschen uns zu bestimmten Handlungen und Verhaltensweisen bewegen können, ganz ohne dass wir dies bemerken. Wer hier an Manipulation denkt, liegt gar nicht so falsch – und sollte unbedingt wieder reinlesen!
Allein schon, um herauszufinden, ob ich euch nicht vielleicht selbst zum Weiterlesen manipuliere…
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Nachschlag?
Zimbardo, P. G. & Gerrig, R. J. (2004). Psychologie* (16. Aufl., S. 757-763 & S. 779-781). München, Deutschland: Pearson Studium.
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Warum gibt es diesen Wissenshappen?
Wir leben in einer Zeit, in der es nahezu unmöglich ist, sich nicht zu informieren und eine Meinung zum aktuellen Weltgeschehen bilden zu können – und diese mit anderen auszutauschen. Und da wir aufgrund der unerschöpflichen Menge an sozialen Plattformen und Informationskanälen eine gewisse Selektion unserer bevorzugten Medien treffen müssen, folgen wir unbewusst den Mehrheitsmeinung einer Referenzgruppe, die uns in unserer Weltsicht bestätigt. Diese Tendenz zur Konformität ist absolut menschlich und grundsätzlich nicht verwerflich, sollte aber jedem modernen Hobbyaktivisten bekannt sein und das Bewusstsein über die eigenen Subjektivität schärfen. Leider ist viel zu oft das Gegenteil der Fall und wir verlieren uns in einem Strudel aus Rechthaben und Rechtsuchen, dem wir voller Inbrunst und Überzeugung folgen.
Was sollte unbedingt verdaut werden?
Als soziale Wesen verspüren wir Menschen auch unbewusst den starken Wunsch, uns in bestimmten Situationen korrekt zu verhalten oder anderen zu gefallen. Und um diesem Wunsch gerecht zu werden, orientieren wir uns ganz selbstverständlich an den Beispielen anderer oder schließen uns ihren Überzeugungen an, insbesondere dann, wenn wir eine Gruppe als relevant erachten. Diese sogenannten Informations- bzw. Normeneinflüsse erzeugen letztlich Konformität, also die Anpassung der eigenen Überzeugungen oder Verhaltensweisen an eine Mehrheit. Diese Konformität betrifft nicht nur größere Auswahlprozesse wie beispielsweise die Wahl einer politischen Partei, sondern beeinflusst uns bereits in alltäglichen Entscheidungen und bestimmt zum Beispiel die bevorzugte Nutzung einer Nachrichtenplattform. Und so geraten wir durch unseren Wunsch, das Richtige zu tun, oft genug in Gefahr, Meinungen und Informationen für die einzig wahre Wahrheit zu halten, die aufgrund unserer unbewussten Vorselektion jedoch alles andere als objektiv richtig sein müssen.
Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.