Geld ist schon etwas Mysteriöses: wird es heutzutage gehortet, kommt es einem durch Strafzinsen teuer zu stehen. Gibt man es stattdessen mit vollen Händen aus, verliert es aufgrund der Inflation seinen Wert. Natürlich kann der moderne Sparer sein Heil in unergründlichen ETFs, dubiosen NFTs oder kryptischer Kryptowährung suchen. Doch was für Hobby-Finanzexperten aufregend und glasklar erscheinen mag, kann für den normalen Bürger schnell verwirrend, unerfreulich und vor allem langweilig werden. Wer will sich schon ständig mit der Zinspolitik der europäischen Zentralbank oder dem Schlusskurs des DAX beschäftigen?
Doch so verwirrend das heutige Geldgeschäft auch erscheinen mag, so einfach ist es auch irgendwie gestrickt, wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft, in der weder Online-Banking noch Trading Apps oder gar Bitcoin Wallets existierten, und in der Geldhandel bereits weitaus mehr war als der schlichte Austausch von Waren. Denn im Gegensatz zu uns modernen Menschen wurden unsere Vorfahren zwar nicht mit den Folgen der Digitalisierung konfrontiert. Dafür mussten sie jedoch die Herausforderungen immer internationalerer und komplexerer Handelswege auf Basis rein analoger Methoden meistern – und dabei immer um ihr ewiges Seelenheil fürchten, das durch die Unvereinbarkeit der lukrativen Geldgeschäfte mit den Grundsätzen der Bibel bedroht wurde.
Die Wallstreet der frühen Neuzeit: Florenz als Zentrum des neuen Finanzwesens
Um einen Eindruck vom überraschend komplexen und ausgefeilten Finanzwesen vergangener Epochen zu gewinnen, als weder Telefon, Computer noch Internet existierten, lohnt sich ein Blick auf eine der wichtigsten und größten Finanz- und Handelsmetropolen der frühen Neuzeit: das Florenz des 14. und 15. Jahrhunderts. (Wenn du mehr über die Kunstgeschichte von Florenz erfahren möchtest, schau doch mal beim Wissenshappen über die Erfindung der Zentralperspektive vorbei!)
Vielen von uns mag diese italienische Stadt im Herzen der Toskana wegen ihrer Instagram-würdigen Kulissen bekannt vorkommen. Ihren wahren Ruhm erlangte sie jedoch als Epizentrum der europaweiten Kulturrevolution des 14. und 15. Jahrhunderts, der berühmten Renaissance, in der die Kunst und Erkenntnisse der Antike wiederentdeckt und durch humanistische Ideale, naturwissenschaftliche Ideen und dem Wunsch nach einem weltoffene Christentum ergänzt wurden. Was die Strahlkraft der Renaissance jedoch zugleich überschattet, ist die zusätzlich fundamentale Bedeutung Florenz‘ für das Handels- und Finanznetz der damals bekannten Welt, in dem bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts Metropolen wie Konstantinopel, London, Barcelona, Brügge und Rom miteinander verbunden waren.
Und auch die Renaissance an sich wäre gar nicht erst möglich gewesen, wenn nicht ehrgeizige und innovative Kaufleute der italienischen Metropole am Arno schon früh ihren besonderen Sinn für Finanztransaktionen entwickelt und durch mutige, teils aggressive Expansion ihrer Geschäftszweige das eigene Vermögen in nahezu unermessliche Reichtümer verwandelt hätten, die sie wiederum in die Förderung von Kunst und Architektur ihrer Heimatstadt investierten. Grundlage für ihren Reichtum bildete vor allem die Woll- und Tuchproduktion, die aufgrund der Flusslage und der damit verbundenen Wasserversorgung sowie reicher Naturschätze im Umland zur Färbung der Stoffe die Möglichkeiten anderer Handelsstädte bei weitem überstieg. So erzielten zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Tuchprodukte aus Florenz bereits Höchstpreise auf dem damaligen Weltmarkt, und die Florentiner Kaufleute begannen, ihr weit verwobenes internationales Handelsnetz immer weiter auszubauen, um mangelnde Materialien wie z.B. Wolle aus anderen Ländern zu importieren.
Dieser expandierende Fernhandel jedoch öffnete den eifrigen toskanischen Geschäftsleuten neue Möglichkeiten, da internationale Handelswege wiederum innovative Lösungen für neue, bis dato unbekannte Probleme erforderten: So wurde zur Absicherung der Waren vor Plünderern und Piraten die Transportversicherung erfunden, und aufgrund der große Zeitspanne zwischen Warenproduktion und internationalem Verkauf stieg die Wichtigkeit und Bedeutung von Geldreserven und Vorschüssen im Handelswesen. Auf diese Weise wurde das internationale Kreditwesen geboren, in dessen Zentrum eine besondere Position durch jene Florentiner Kaufleute eingenommen wurde, die neben der Tuchproduktion und dem Handel internationaler (Luxus-) Güter immer öfter auch als Geldverleiher und Bankiers fungierten. Und nicht nur einfache Menschen und Händler gehörten zu den Kunden dieses neuen Finanzgeschäftes: insbesondere der Papst selbst, das Oberhaupt der christlichen Welt, war auf das Bankwesen in besonderer Weise angewiesen.
Das ständige Spiel mit dem Fegefeuer – und der Papst mischt mit
Denn die katholische Kirche war damals vor allem eines: eine große und sehr erfolgreiche Geldmaschinerie, die sich aus den Spenden und Abgaben ihrer Gläubiger und Kirchendiener finanzierte – und das nicht zu knapp: Wurde beispielsweise ein neuer Bischof berufen, so musste dieser die Einkünfte aus dem ersten Jahr im neuen Dienst an den Heiligen Stuhl in Rom abführen. Doch ein beispielsweise in England neu ernannter Bischof konnte ja nicht einfach einen Haufen Gold- und Silbermünzen durch ganz Europa verschicken und riskieren, dass diese auf dem Weg verloren gingen oder geklaut wurden.
Die Florentiner Bankiers konnten für dieses Problem eine praktikable Lösung anbieten: die notwendigen Geldabgaben konnte der neue Bischof ganz einfach beim englischen Filialzweig einer italienischen Bank einzahlen. Diese wiederum stellte sogleich einen Wechselbrief aus, quasi eine Art Scheck, der gefahrloser nach Rom transportiert werden konnte. Die Vorlage dieses Wechselbriefes, dessen Unterschriften und Unterzeichner europaweit hinterlegt und genau überprüft werden konnten, löste in der römischen Filiale eine Auszahlung des eingezahlten Betrages aus, der abschließend brav in die Kassen des Vatikans wandern konnte. Abzüglich einer kleinen, für die Bank lukrativen Gebühr, selbstverständlich, denn auch damals schon wurde trotz aller Christlichkeit natürlich nichts verschenkt.
Doch diese Transaktionsgebühr war nicht der einzige Grund für den rasch wachsenden Wohlstand der italienischen Bankiers. Anstatt das in England ursprünglich eingezahlte Geld plump auf der Bank liegen zu lassen (was damals offenbar eine ähnlich schlechte Idee zur Guthabenvermehrung wie heute war), investierte der ansässige Bankvertreter das Geld in neue Materialen wie z.B. englische Schafswolle, die nach Florenz verschifft und dort für die Weiterverarbeitung in der Tuchproduktion genutzt wurden. Das beim (gewinnbringenden) Verkauf des Tuches gewonnene Gold und Silber wiederum wurde in die Kassen der Bank in Florenz oder Rom gespült. Ein goldener Kreislauf für die Bankiers und Kaufleute von Florenz.
Was schlüssig und pragmatisch klingt, stellte zur damaligen Zeit jedoch ein Art russisches Roulette für das eigene Seelenheil dar und stürzte die Menschen der Frührenaissance in wahre moralische Verzweiflung und emotionale Pein. Der Verleih von Geld zu einem Zinssatz auf Darlehen und Guthaben stellte laut Kirchenvertretern nämlich nichts anderes als Wucher dar – eine der schlimmsten Sünden der Bibel. Und so mancher Bankier fürchtete auf seinem Sterbebett gar derart das drohende Fegefeuer, dass er sein ganzes Vermögen verschenkte oder in Form von Klöstern und Spenden der Kirche stiftete, auf dass diese den Weg seiner Seele in den Himmel sichern möge. Und diese gewährte gerne Erlösung, war sie doch selbst im Kreditgeschäft involviert: der stets klamme Papst war auf die Kredite der Florentiner Banken in höchstem Maße angewiesen, um den eigenen Luxus, die Kirchen-, Staats- und letztlich regelmäßige Kriegsführung des Vatikans zu finanzieren.
Doch selbstverständlich konnte man vom Kirchenoberhaupt selbst keine Zinsen eintreiben oder diese auszahlen und somit Wucher betreiben. Einen angemessenen Aufschlag auf die im Vatikan verkauften Luxusgüter im Gegenzug für einen Darlehen zu fordern oder im Falle von eingelagerten Guthaben kleine Geschenke zu verteilen – darüber würde der Herrgott jedoch sicherlich hinwegsehen können.
Arm auf Erden, selig im Himmel – die Nullzinspolitik der EZB als göttliche Erlösung
Wenn man die emotionalen und logistischen Herausforderungen des damaligen Finanz- und Handelswesens aus heutiger Perspektive betrachtet, erscheint die digitale Finanzwelt des 21. Jahrhunderts fast erfrischend einfach. Natürlich nervt es, wenn mal wieder eine PhotoTAN aktiviert werden oder der für die Steuer notwendige Finanzjahresbericht aus dem verhassten online-Bankpostfach gesucht werden muss. Aber letztlich ist jede Transaktion mit ein paar Klicks erledigt.
Doch egal wie unterschiedlich die damalige und heutige Bankwelt wirken mögen, so finden sich auch erstaunliche Gemeinsamkeiten: eine saubere Buchführung war schon immer eine gute Idee, Geld auf dem Konto sollte möglichst investiert werden, Staat und Kirche bedienten sich schon immer aus den Taschen ihrer folgsamen Schäfchen und Wucher ist auch heute noch verpönt. Was zu Zeiten der Renaissance der reuige Sünder durch Schenkungen zu retten versuchte, löst die Europäische Zentralbank heute auf viel elegantere Weise – zumindest würde dies eine plausible Erklärung für das jahrelange Festhalten am Nullzins liefern.
Denn ist es nicht viel sicherer, den risikoscheuen deutschen Sparer zu verärgern als den lieben Gott im Himmel durch einen profitablen Zinssatz zu erzürnen?
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Nachschlag?
Mesenhöller, M. (2017). Ein guter Platz für Geschäfte. GEO EPOCHE Nr. 85: Das Florenz der Medici*, 85/2017, 20-29.
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Warum gibt es diesen Wissenshappen?
Als Menschen des 21. Jahrhunderts sind wir es gewöhnt, alles mit einem Klick erledigen zu können. Jede noch so komplizierte Transaktion, sei es eine Überweisung per Online-Banking und PayPal oder der Kauf von Aktien und Kryptowährung, wird von unseren Smartphones und Apps übernommen, so dass Geld für uns oft zu einem vagen Begriff mit eher unbekanntem Gegenwert verkommt. Und dennoch ächzt der Ottonormalbürger, wenn wieder mal eine PhotoTAN aktiviert oder die Kreditkartendaten online hinterlegt werden sollen. Dabei müssten wir nur einen Blick auf das beginnende Kreditwesen sowie die logistischen und religiösen Herausforderungen der frühen Neuzeit werfen, um die Möglichkeiten unserer modernen, digitalen Finanzwelt schätzen zu lernen.
Was sollte unbedingt verdaut werden?
Auch wenn unsere modernen Finanztechnologien zuweilen kryptisch wirken mögen, so standen die Menschen des ausgehenden Mittelalters vor deutlich komplexeren Herausforderungen, sobald ein Handel mehr verlangte als den bloßen Austausch von Waren. Der wachsende Fernhandel und die finanzielle Vernetzung der damals bekannten Welt erforderten nicht nur die Entwicklung neuartiger Transportmethoden, sondern zugleich nichts anderes als die Erfindung des Kreditwesens – und das ohne digitale Hilfsmittel. Vor allem ambitionierte Kaufleute im Florenz des 14. Jahrhunderts konnten dabei durch ihr Gespür für Finanzgeschäfte zu Macht und unermesslichem Reichtum gelangen. Doch der Preis dafür war hoch: ihr ewiges Seelenheil stand auf dem Spiel, und der mächtige Papst selbst sollte zu einem wichtigen Akteur im neuartigen Geschäft mit Wucher und Gewinn werden.
Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.