Der menschliche Geist ist konkurrenzlos in seiner Fähigkeit, seine Umwelt zu analysieren und zu kategorisieren. Kein anderes uns bekanntes Lebewesen dieser Welt schafft es, Dinge derart schnell einzuordnen und in gewisse Schubladen zu stecken – eine Fähigkeit, die leider oft zu unserem Leidwesen unser Sozialleben prägt und unseren Rang in der Welt definiert.
Doch über den Menschen, der es uns ermöglichte, die Welt einer stringenten Klassifizierung und Kategorisierung zuzuführen, haben die wenigsten von uns jemals gehört oder gelesen – oder aber wir haben das Wissen schnellstmöglich in irgendeiner verstaubten Hirnwindung vergraben. Denn sein Werk und das Verständnis dessen, was er geleistet hat, versteckt sich in einem Wust von schrecklich langweiligen Erklärungen, öden Textquellen und, besonders abschreckend, hinter zahllosen lateinischen Fachwörtern, die sich die wenigsten von uns merken können. Sein Wirken entstammt den Fachbereichen der Botanik und Zoologie und somit Themengebieten, die nur selten den Nerv des Mainstreams treffen.
Die Rede ist von Carl von Linné, einem schwedischen Arzt und Naturforscher, der durch die Veröffentlichung seiner Systema naturae (eine Ordnungssystematik der Natur) im Jahre 1735 sowie durch die Entwicklung der Binominalnomenklatur bzw. binären Nomenklatur die biologische Systematik (die systematische Einteilung, Benennung und Identifizierung von Lebewesen) revolutionierte. Und wenn wir schon von Ordnung und Namen sprechen, sollte an dieser Stelle korrekterweise erwähnt werden, dass Carl von Linné ursprünglich auf den Namen Carl Nilsson Linnæus hörte, und sich den edlen französischen Klang erst nach seiner Erhebung in den Adelsstand aneignete.
In der Kürze liegt die Würze – Leitzsatz der binären Nomenklatur
Bevor Linné seine Ideen veröffentlichte, herrschte Chaos in der Biologie. Naturforscher und Entdecker der Alten wie der Neuen Welt standen in einem ehrgeizigen, durchaus lukrativen Wettkampf miteinander, bis dato unbekannte und aufregend exotische Tier- und Pflanzenarten zu sammeln. Doch ein übergreifendes System zur Klassifizierung fehlte. Und so trugen immer zahlreichere, kompliziertere und mehrdeutige Namen wenig dazu bei, die Welt in eine verständliche Ordnung bringen zu können.
Wer möchte sich schon mit einer Physalis amno ramosissime ramis angulosis glabris foliis dentoserratis beschäftigen, egal wie groß die Liebe zur Botanik auch sein mag? (Es handelt sich hierbei übrigens um eine Pflanzenart aus der Gattung der Blasenkirschen, besser bekannt als Physalis.) Carl von Linné offensichtlich nicht, denn er erfand kurzerhand eine neue Systematik der Namensgebung für die Welt der Pflanzen, Tiere und Mineralien, die Binominalnomenklatur oder binäre Nomenklatur. Und so wurde aus dem oben erwähnten Wortungetüm kurz eine Physalis angulata – und der Grund für die Beliebtheit seiner neuen, bestechend effizienten Methodik ist damit wohl selbsterklärend.
Die Katalogisierung der Welt – und eine Prise Sex
Der große Beitrag Linnés bestand zusammengefasst darin, in seiner Systema naturae ein Ordnungssystem der Natur zu schaffen, mit dessen Hilfe die Welt der Pflanzen, Tiere und Mineralien anhand von fünf aufeinander aufbauenden Rangstufen kategorisiert werden konnte: Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät. Die erste Auflage, die 1735 erschien, umfasste lediglich 14 Seiten, wuchs jedoch noch zu Linnés Lebzeiten auf 2.300 Seiten und listete schließlich 13.000 Pflanzen- und Tierarten. Ab der 10. Auflage führte er zudem durchgängig für alle Tierarten prägnante (und wie der folgende Name verrät: zweiteilige) Binominalnamen auf, die ihre Zugehörigkeit zu einer Gattung sowie ihre Art innerhalb der Gattung identifizierten. Mit dieser Leistung legte er nicht nur den Grundstein der binären Nomenklatur, sondern festigte zudem seinen Ruhm als selbsternannter und wenig bescheidener Princeps Botanicorum, also „Fürst der Botaniker“.
Und auch wenn Linné ein Hang zur Selbstverliebtheit und wohl auch leichten Sexbesessenheit nachgesagt werden kann* (der sich in einigen Gattungsnamen wie der vielsagenden Vulva oder Clitoria widerspiegelte), so wäre die biologische Systematik ohne ihn eine andere und vermutlich noch deutlich umständlicher, komplexer und weniger einprägsam als ohnehin schon. Ein Grund dankbar zu sein – auch wenn damit primär den biologischen Systematikern geholfen ist und folglich einer zugegeben zahlenmäßig kleinen, aber nicht unbedeutenden Unterart des Homo Sapiens.
*An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass Linné zudem ein ausgeprägter Rassist war, der auf abstoßende Weise versuchte, die Versklavung der afrikanischen Bevölkerung pseudo-wissenschaftlich zu rechtfertigen.
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Nachschlag?
Bryson, B. (2005). Eine kurze Geschichte von fast allem* (17. Auflage). München, Deutschland: Random House GmbH.
König, M. (2020). Vordenker des Antirassismus. GEO EPOCHE Nr. 105: Denker, Forscher, Pioniere. Männer und Frauen, die die unsere Welt veränderten (1500-1950)*, 105/2020, 42-43.
Mitteldeutscher Rundfunk (2019, 13. Januar). Carl von Linné – Ordnung in der Natur. Abgerufen 4. Juni 2022 von https://www.mdr.de/mdr-garten/schweden-garten-carl-von-linne-100.html
Wikipedia (2022). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 4. Juni 2022 von https://de.wikipedia.org/wiki/Nomenklatur_(Biologie)#Bin%C3%A4re_Nomenklatur_nach_Linn%C3%A9
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Warum gibt es diesen Wissenshappen?
Wir alle sind schon über den einen oder anderen Binominalnamen gestolpert – lateinische Fachbegriffe, die uns helfen, die Welt in eine bestimmte Ordnung zu bringen und zu verstehen, welcher Gattung, welcher Spezies ein Lebewesen angehört. Die Möglichkeit, das Leben zu klassifizieren ist nicht nur für das Verständnis der Artenvielfalt unentbehrlich, sondern auch ein grundlegendes Bedürfnis des „verstehenden Menschen“, des Homo Sapiens, um nur ein Beispiel für die binäre Nomenklatur, den Grundstein der biologischen Systematik, zu nennen. Doch der Erfinder dieser stringenten, effizienten Methodik ist nur den wenigsten Menschen ein Begriff.
Was sollte unbedingt verdaut werden?
Im 18. Jahrhundert, als die Welt in einem Entdeckungsrausch lag und Abenteurer und Naturforscher der Neuen wie der Alten Welt immer neue, exotischere Arten sammelten und erforschten, herrschte Chaos in den Klassifizierungssystemen der Botanik und Zoologie. Fabelwesen und mystische Ungeheuer, aber vor allem unmögliche Wortungetüme von lateinischen Namenskonstruktionen prägten die ungeordnete Dokumentation der Artenvielfalt. Bis Carl von Linné, ein schwedischer Arzt und Naturforscher, die binäre Nomenklatur als neue, effiziente Ordnungssystematik entwickelte und mit seiner Systema naturae im Jahr 1735 jenen Artenkatalog veröffentlichte, der zum weltweiten Regelwerk der Klassifizierung und Namensgebung avancieren sollte.
Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.
Die Benennung der Welt – 😉
Worte sind Schall und Rauch.
Was muss man im digitalen Zeitalter eigentlich noch wissen, ohne bei Google nachzuschauen?
Ein kleines, unorthodoxes Gedicht zum Thema Allgemeinwissen:
WISSEN FÜR BESSERWISSER
Es hält unser Blut in Fluss der
Thrombozytenaggregationshemmer,
welch klangvolles Wort.
Bandar Seri Begawan ist
Hauptstadt von Brunei,
ein herrlicher Ort.
Kalaallit Nunaat ist Grönland,
der Mount Godwin – Austen
auch als K 2 bekannt,
Eyjafjallajökull ein Vulkan
im vulkanreichen Island.
Vigdis Finnbogadottir
war mal Präsidentin hier.
Wir kennen Parallaxensekunde
und Desoxyribonukleinsäure gut,
zaubern noch mit links die
Positronenemissionstomografie
aus dem Hut.
Die Stadt Hodmezövásárhely
fordert schon etwas Mut.
Spricht man diese Worte
zügig und unfallfrei aus,
erntet man sicher Applaus.
Kann man sie noch deuten,
ist man wohl unheimlich
den Leuten.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus der Skatstadt
Lieber Rainer Kirmse,
ich hoffe doch, dass ein gesundes Allgemeinwissen auch heute noch relevant ist. Ich zumindest möchte trotz Google nicht darauf verzichten. Denn auch wenn Google meist weiterhelfen kann (oder sonst auch Wikipedia), muss ja zuerst eine gewisse Neugier bestehen, um gezielt nach Wissen zu suchen. Die wenigsten Menschen klicken sich einfach rein zufällig durch Google und saugen alles (nachhaltig) auf, über das sie stolpern. Für mich ist jemand mit einem großen Wissenshunger daher auch kein Besserwisser – das wird man für mich erst, wenn man anfängt, andere zu belehren oder sich auf ihre Kosten aufzuspielen.
Auch hier habe ich Ihren Kommentar wieder mit großer Freude gelesen, vielen Dank!
“Spricht man diese Worte
zügig und unfallfrei aus,
erntet man sicher Applaus.
Kann man sie noch deuten,
ist man wohl unheimlich
den Leuten.”
Zu wahr – vielleicht ist das auch der Quell des (Un)Wortes “Besserwisser”?
Herzliche Grüße