Written by: Naturwissenschaften Psychologie

Was vom Studium übrig blieb: Die wunderbare Welt der (Sozial-) Psychologie Teil I

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Wie jeder junge Mensch begann auch ich mein Studium mit dem Kopf voller Wünsche und Erwartungen an die faszinierenden Lerninhalte, die mich an der Universität erwarten würden. Die Ansprüche wurden durch die Natur meines Studium noch verstärkt, denn ich hatte mich für Psychologie entschieden, ein fast mystisch anmutendes Fachgebiet. Wir würden die Natur des menschlichen Geistes kennenlernen! Wir würden unsere Gesprächspartner durchschauen und all ihre Komplexe aufdecken, vielleicht sogar Gedanken lesen können! Alles, was wir dafür benötigen, würde uns das Studium vermitteln. Doch kaum saß ich in der ersten Vorlesung, lösten sich meine Vorstellungen in Luft auf. Statt Gedanken zu lesen und Serienmörder verstehen zu lernen, kämpfte ich mich jahrelang durch Methodenlehre, Statistik und Forschungsübungen, programmierte in R und philosophierte über Signifikanzniveaus. Warum hatte ich mich nochmal für das Psychologiestudium entschieden?

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Und doch gab es hin und wieder einen lichten Augenblick, der plötzlich mein ursprüngliches Interesse wieder entfachen und den ersehnten (kleinen) Einblick in die Abgründe des menschlichen Geistes gewähren konnte. Dabei waren es vor allem die Beobachtungen und Theorien der Sozialpsychologie, die sich insbesondere auf die psychischen Prozesse in menschlichen Interaktionen fokussiert, die mir hilfreiche Erklärungsansätze für das oft unerklärliche Verhalten des Menschen lieferten und letztlich dazu beitrugen, dass ich nicht frustriert nach drei Semestern das Handtuch warf. Diese – für mich echten psychologischen – Wissenshappen möchte ich in einer fortlaufenden Serie teilen.

Was nicht passt, wird passend gemacht: Die Theorie der kognitiven Dissonanz

Wir alle haben uns sicherlich schon mal gefragt, warum Menschen handeln, wie sie handeln, und vor allem warum viele Menschen das eine sagen und das andere tun. Oder wie es dazu kommen konnte, dass sich Millionen Deutsche in den Abgründen des Dritten Reiches verloren haben. Oder warum Menschen in der Lage sind, Tiere zu quälen und andere Menschen zu mobben oder gar zu foltern. All diese Verhaltensweisen sind nicht unmenschlich – sie sind sogar zutiefst menschlich, unseren ureigenen kognitiven Fähigkeiten entsprungen. Das zugrunde liegende Phänomen, die sogenannte kognitive Dissonanz, ist sicherlich eine der bekanntesten und am besten erforschten Theorien der Psychologie und einer der wichtigsten Erklärungsansätze für das, was wir tun, im Großen und im Kleinen, im Alltag und vor allem – so ziemlich jeden Tag.

Photo by Jon Tyson on Unsplash

Doch was bedeutet kognitive Dissonanz und was hat sie mit uns zu tun? Den wohlklingenden Begriff prägte in den 1950er Jahren der Psychologe Leon Festinger, nachdem er verdeckte Untersuchungen innerhalb einer amerikanischen Sekte durchgeführt hatte und versuchte, die etwas eigene Gedankenwelt der Sektenmitglieder nachvollziehen zu können. Sein daraus resultierendes Konstrukt der kognitiven Dissonanz beschreibt, grob gesprochen, den unangenehmen motivationale Zustand, in dem wir uns befinden, wenn wir uns mit unvereinbaren Kognitionen konfrontiert sehen, also z.B. Überzeugungen, Annahmen, Einstellungen und Optionen.

Kognitive Dissonanz leicht gemacht: Ein Erfahrungsbericht

Was kompliziert klingt, ist schnell illustriert. Ich z.B. befinde mich regelmäßig in einem Zustand der kognitiven Dissonanz, wenn ich mich an einen Wissenshappen setzen möchte, dann aber doch keine große Lust oder eine Schreibblockade habe. In dieser Situation fällt mir dann des Öfteren ein wirklich SEHR guter Grund dafür ein, warum ich nicht schreiben sondern stattdessen vielleicht die Wohnung aufräumen müsste. Oder lieber in die Badewanne steigen sollte, denn was gibt es Vernünftigeres als ein bisschen Self-Care? Richtig, rein gar nichts und so wird das Schreiben auf den nächsten Tag verschoben – da habe ich ja schließlich auch noch Zeit, und werde bestimmt sogar noch produktiver sein. Also eine vernünftige Entscheidung, alles gut, ab in die Badewanne!

Und dann nagt doch das schlechte Gewissen an mir, ganz subtil, aber nicht zu ignorieren, und erhöht den Druck weiter, endlich das zu tun, was ich doch ursprünglich angehen wollte. Dieser unangenehme Druck, gepaart mir weiteren guten Gründen (ich könnte z.B. recherchieren, welche Themen gerade auf Twitter trenden) sorgt letztlich dafür, dass ich das Schreiben noch weiter vor mir her schiebe. Dieser Kreislauf dreht sich so lange weiter, bis ich entweder aufgebe und mich endlich an den Laptop setze (und mein Gott, fühlt sich das gut an!) oder aber zu dem Schluss komme, dass Schreiben eigentlich nicht das Richtige für mich ist und ich es von Anfang an besser hätte bleiben lassen.

Diese Teufelskreis lässt sich beliebig auf andere Situationen und Hobbies anwenden, darunter ganz bestimmt auf den Sport und die gesunde Ernährung, den Verzicht auf Schokolade, von der wir wissen, dass sie uns schadet – und die dann doch gar nicht so schlimm ist, wenn wir dem Verlangen nachgeben. Denn gab es da nicht mal eine Studie, die gezeigt hat, dass Schokolade gut fürs Herz ist? Egal, auf jeden Fall halb so wild! Und überhaupt, jeder wird mal schwach, wir sind doch alle nur Menschen.

Geistes Werk und Teufels Beitrag: Mentale Fluchtwege aus der Dissonanz

Wem diese Situationen bekannt vorkommen, der kennt ihn also, den Zustand der kognitiven Dissonanz, in dem das, was wir eigentlich glauben, nicht mit unserem Handeln übereinstimmt. In einem solchen Moment gibt es für uns eigentlich nur noch einen Ausweg: die Auflösung oder zumindest Minimierung dieser unangenehmen Spannung, im Fachjargon auch bekannt als: Dissonanzreduktion. Und um dies zu erreichen, bedienen wir Menschen uns fünf unterschiedlicher Handlungsstrategien:

So können wir beispielsweise versuchen, Argumente zu sammeln, die unsere Vermeidungsstrategie unterstützen (die Addition konsonanter Kognitionen): „In der Badewanne zu liegen ist gesund, weil ich Stress reduzieren und mein Immunsystem stärken kann.“ Alternativ können wir aber auch Informationen vermeiden, welche jene Handlung unterstützen würden, die wir unangenehmerweise vor uns herschieben (Subtraktion dissonanter Kognitionen). Für meinen Fall bedeutet dies, dass ich meine bisherigen Erfahrungen damit, dass es sich wirklich gut anfühlt, endlich einen Wissenshappen (weiter) zu schreiben, einfach ignoriere oder ausblende.

Bei der dritten Reduktionsstrategie, der sogenannten Substitution dissonanter durch konsonante Kognitionen, besteht die Möglichkeit, positive Aspekte hervorzuheben, die nicht in Zusammenhang mit der ursprünglichen Dissonanz stehen, aber die Vermeidung begründen. In meinem Beispiel könnte dies wie folgt aussehen: „Ich mag zwar nicht zum Schreiben kommen, aber ich habe in der letzten Woche sehr viel gearbeitet und muss eine Pause machen, um produktiv zu bleiben.“

Die letzten beiden Strategien ermöglichen eine erfolgreiche Dissonanzreduktion, indem wir die Wichtigkeit positiv bestätigender oder negativ beladener Informationen erhöhen oder herabstufen. Das könnte z.B. darüber gelingen, dass ich in meinem Beispiel darauf bestehe, dass mir die Entspannung in der Badewanne wichtiger ist als das Schreiben (Betonung der Wichtigkeit konsonanter Kognitionen) oder aber ich schlicht anzweifle, dass mir das Schreiben überhaupt wichtig ist (Reduktion der Wichtigkeit dissonanter Kognitionen).

Ein Leben ohne kognitive Dissonanz? Gibt’s nicht!

Wir alle nutzen diese Auswege, um mit uns selbst wieder in Einklang zu geraten. Und das ist nichts Schlimmes, vermutlich ist es sogar sehr gesund, denn wer von uns kann wirklich IMMER im Einklang mit den eigenen Überzeugungen handeln? Und wer von uns weiß schon, dass die eigenen Überzeugungen IMMER die richtigen sind und gar nicht erst angepasst werden müssen (außer natürlich man heißt Greta, Louisa oder Jan Böhmermann)?

Wenn ihr also das nächste Mal paralysiert auf der Couch sitzt und überlegt, ob ihr nun wie vorgenommen den 10 Kilometer-Lauf angehen solltet oder es nicht vielleicht doch vernünftiger wäre, das Bananenbrot zu backen, über das ihr nun schon so lange nachdenkt: dann fühlt euch nicht schuldig oder schlecht und macht das eine oder das andere (oder eben nicht). Euer Kopf wird die Dinge schon wieder in die richtige Perspektive für euch rücken und die Dissonanz beseitigen – zumindest bis zur nächsten qualvollen Entscheidung.

Aber ich kann berichten, dass es sich verdammt gut anfühlt, wenn man der Versuchung der Dissonanzreduktion widersteht und tatsächlich das macht, was man sich zu tun vornimmt. So war ich kurz davor, der Badewanne zum wiederholten Male den Vorzug gegenüber dem Schreiben zu geben, denn verdammt hatte ich eine harte Arbeitswoche, doch ich bin stark geblieben und habe geschrieben und bin gerade so richtig im Reinen mit mir.

Das müsste eigentlich mit einem Glas Rotwein belohnt werden, weil ich so fleißig war, doch eigentlich wollte ich ein bisschen weniger trinken. Aber Moment mal… habe ich nicht letztens irgendwo gelesen, dass ein Glas Rotwein pro Tag das Leben sogar verlängern kann?!

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Nachschlag?

Fischer, P., Jander, K., & Krueger, J. (2013). Sozialpsychologie für Bachelor (2. Auflage)*. Berlin, Deutschland: Springer. (Affiliate Link / Werbelink zu Amazon: https://amzn.to/3OnvTyZ*)

Carstens, P. Kognitive Dissonanz. Warum wir uns so leicht selbst betrügen. GEO. Abgerufen 12. Juni 2022 von https://www.geo.de/wissen/gesundheit/18160-rtkl-kognitive-dissonanz-warum-wir-uns-so-leicht-selbst-betruegen

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Warum gibt es diesen Wissenshappen?

Irren ist menschlich – und tagtäglich mit den eigenen Überzeugungen, Handlungen und Plänen in den inneren Konflikt zu geraten ebenso. Egal wie viel wir uns vornehmen, was wir erreichen und schaffen möchten, woran wir fest glauben, es wird immer wieder eine Situation geben, in der wir das eine meinen und das andere tun. Was wir alle kennen und sich bisweilen schrecklich unangenehm anfühlt, ist eines der am besten erforschten Phänomene der Sozialpsychologie: die kognitive Dissonanz. Doch keine Sorge – wir alle haben unsere Fluchtwege aus diesem Spannungszustand, die uns helfen, den inneren Frieden wieder herzustellen. Auch wenn wir uns damit ein bisschen selbst belügen, sind diese äußerst effektiv und zielführend; und sollten uns zumindest ansatzweise bekannt sein, um sich der eigenen Fehlbarkeit bewusst zu werden.

Was sollte unbedingt verdaut werden?

Auf der Couch oder in der Badewanne liegen, dem Wohnungsputz frönen oder ein bisschen Self-Care betreiben, anstatt die Steuererklärung endlich abzuschließen oder den ungeliebte 10 Kilometerlauf durchzuziehen… wir alle kennen und erleben den unangenehmen motivationalen Zustand der kognitiven Dissonanz, in dem unsere Meinungen, Vorhaben oder gar Handlungen nicht zueinander passen wollen. Das schlechte Gewissen nagt an uns, der innere Schweinehund tobt… doch Hilfe naht! Durch verschiedene Strategien, in denen wir mal den einen Standpunkt auf- oder abwerten oder die Augen vor alternativen Argumenten verschließen, gelingt es uns immer wieder, aus dieser emotionalen Zwickmühle zu fliehen und die Dinge ins rechte Licht zu rücken – also so, wie sie uns gerade am besten passen.

Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.

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Last modified: 29. Januar 2024