Written by: Biologie Naturwissenschaften

Ist der Ruf erst ruiniert: Das geheime Leben der Rabenvögel

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Wenn wir an Raben und Krähen denken, kommen uns unvermittelt die gängigsten Vorurteile über diese schwarzgefiederten Vögel in den Sinn: ihre düstere Aura als Vorboten von Unglück und Tod, aber auch ihr diebischer, verräterischer und hinterhältiger Charakter. Und vor unserem geistigen Auge sehen wir sie gar in Scharen auf den winterlichen Feldern unheilvoll aufmarschieren oder sich in unseren städtischen Parkanlagen als bedrohliche Gruppe auf unglückliche Spaziergänger oder verlassene Müll- und Essensreste stürzen.

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Mit großer Wahrscheinlichkeit denken jedoch die wenigsten von uns an das, was Rabenvögel tatsächlich sind: nämlich liebevolle Eltern, unwahrscheinlich soziale und gesellige Artgenossen, hochgradig sprachbegabt und außerordentlich intelligent, überaus lernfähig, kreativ und verspielt, neugierig und vor allem ganz besondere, sich ihrer selbst bewusste Individuen mit ihrer eigenen, persönlichen Wahrnehmung.

Trotz dieser wunderbaren Eigenschaften halten wir Menschen (wie bei vielem, auf das wir uns irgendwann gemeinschaftlich geeinigt haben) an unserem Irrglauben an den pechschwarzen Unglückraben oder an die schrecklich lieblosen Rabeneltern fest. Selbst dann, wenn wir in den meisten Fällen noch nicht einmal benennen können, wo eigentlich der Unterschied zwischen einem Raben und einer Krähe besteht.

Und daher ist es an der Zeit, dass wir unser Alltagswissen über die zumeist (aber nicht immer) schwarzgefiederten Vertreter der Familie der Rabenvögel (im Fachjargon: Corvidae oder Corviden) erweitern und endlich lernen, dass diese wunderbaren Vögel weit mehr sind als ihr schlechter Ruf. Dabei werden wir feststellen, dass sie uns Menschen gar nicht unähnlich sind – und wir ihnen vielleicht deshalb (zu Unrecht) misstrauen.

Jede gute Geschichte braucht ihren Helden Raben

Raben und Krähen begleiten uns seit Menschengedenken, und sie finden sich in den unterschiedlichsten Arten – von schwarz- bis buntgefiedert, über klein bis groß – auf nahezu jedem Flecken unseres Planeten. Und seitdem wir Menschen einander Sagen und Legenden erzählen, nehmen Rabenvögel eine wichtige Rolle in ihnen ein, egal ob als Weltenerschaffer im Schöpfungsmythos der Inuit, als bedeutende Akteure in griechischen Erzählungen oder göttliche Begleiter in der nordischen Mythologie. Ihren schlechten Ruf verdanken diese beeindruckenden Vögel jedoch vor allem der Bibel, die wie so oft als Quell mangelhafter, dennoch umso standhafterer Überzeugungen dient.

Aber auch ihre gewöhnungsbedürftigen Ernährungsgewohnheiten als Aasfresser und ihr zahlloses Erscheinen und Lauern an menschlichen Schlachtfeldern und Richtplätzen der Vergangenheit wird ihrem Image nicht unbedingt förderlich gewesen sein. (Natürlich könnte man hierbei die Ursache des Problems in den sich gegenseitig niedermetzelnden Menschen sehen, aber einfacher ist es, dem Vogel die Schuld zuzuschieben.) Selbstverständlich sollten wir im besten Deutschland aller Zeiten nicht den schwerwiegendsten aller Vorwürfe vergessen, den lastenrad-liebenden Helikoptereltern einem Lebewesen vorzuhalten wissen: nämlich jener, dass Raben schlechte Eltern seien.

Und schon erreichen wir ein grundsätzliches Dilemma: Was wir Raben vorwerfen, gilt das auch für Krähen? Und gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Raben und Krähen?

AndronovIN at English Wikipedia, Rook25feb2007 02 crfpl, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Die vereinfachte Antwort lautet: ja es gibt einen Unterschied, denn bei Raben und Krähen handelt es sich um verschiedene Vertreter ihrer Gattung, und sie lassen sich optisch durchaus voneinander unterscheiden. Im Falle der größeren Vertretern der Familie der Rabenvögel (die im Übrigen zur Oberordnung der Sperlingsvögel und der Unterordnung der Singvögel zählen; hier findet ihr mehr zur Geschichte der biologischen Systematik) dürfen wir ruhig von Raben sprechen, die sich übrigens auch an ihrem charakteristischen Ra-ra-ra-Rufen identifizieren lassen. Bei den kleineren Exemplaren handelt es sich zumeist um Krähen, die – wer hätte das gedacht – sich durch ihre durchdringenden, typischen kräh-krah-krah Rufe enttarnen. Ob wir beides aber den Raben- oder den Krähenvögeln zuordnen, ist letztlich egal – die Begriffe lassen sich synonym verwenden.

In Deutschland begegnen uns eher Krähen als Raben, doch auch weitere Vertreter der Familie der Rabenvögel sind hierzulande nicht wegzudenken: die akrobatische und immer hungrige Alpendohle etwa oder, auch wenn man es kaum vermuten würde, die diebische Elster, die ebenfalls zu den Corviden zählt.

Von trauernden Krähen und liebenden Elstern

Die beschriebene Artenvielfalt ist schön und gut, und für den eingefleischten Ornithologen sicherlich mehr als spannend. Doch warum sollten Raben und Krähen nun besser sein als ihr Ruf, und vor allem: was macht sie so besonders und dem Menschen gar nicht unähnlich?

Auch wenn ihr Anblick wenig von ihrem geselligen Wesen verrät, so leben Raben und Krähen meist in durchaus komplexen Sozialstrukturen, die unseren menschlichen Freundschaften und Familien stark ähneln. Und obwohl sich der Begriff „Rabenmutter“ hartnäckig in unserem Sprachgebraucht hält und auf einem vollkommen veralteten Rollenverständnis beruht, so sind sie (und im Gegensatz zu uns Menschen sogar beide Elternteile) vor allem eines ganz sicher nicht: schlechte Eltern.

Schildraben in der Namibwüste (private Aufnahme)

Tatsächlich kümmern sich Rabenvögel sehr ausgiebig und liebevoll um ihren Nachwuchs, füttern und wärmen ihn und ziehen ihn gemeinsam groß. Darüber hinaus lehren sie ihre Jungen überlebenswichtige Kenntnisse und Fähigkeiten und begleiten wachsam ihre ersten Flugversuche, die je nach Art früher oder später unternommen werden. Sollte ein solcher Flugversuch missglücken, so wachen sie versteckt, aber aufmerksam in der Nähe des verunglückten Jungtieres, verteidigen dieses gegen mögliche Feinde und versorgen es, bis es wieder zu Kräften gelangt. Das Problem liegt daher nicht bei den Raben, sondern bei uns Menschen, die wir einfach zu blind und unaufmerksam sind, um die Fürsorge dieser Vögel zu erkennen.

Und weil Raben und Krähen eben doch ganz wunderbare Eltern sind, bleiben viele Jungvögel die ersten Jahre ihres Lebens bei ihrer Familie und helfen bei der Aufzucht weiterer Geschwister. Der Familienbund ist so eng, dass sich die Familienmitglieder auch nach Jahren der Abwesenheit wiedererkennen oder gar ihre eigene familieninterne Sprache entwickeln, die für andere Artgenossen vollkommen unverständlich ist. Bei manchen Arten wie der Amerikanerkrähe können Verständnisschwierigkeiten aber auch daher rühren, dass die Tiere über Distanzen hinweg andere Laute und Lautfolgen nutzen und so regelrechte Dialekte entstehen. Ob diese unterschiedlich beliebt und geschätzt werden wie z.B. unser Bayerisch oder Schwäbisch, ist leider nicht bekannt. Allgemein ist die Sprachfähigkeit der Rabenvögel außergewöhnlich: einige Arten können nicht nur andere Vogelrufe imitieren, sondern gar die menschliche Sprache nachahmen und – in sehr seltenen Fällen – ganze Sätze erlernen.

Neben der fürsorglichen Aufzucht ihrer Jungen sind viele Raben und Krähen, aber auch Elstern, zudem ein Leben lang monogam, wenn sie einmal den passenden Partner gefunden haben. Gemeinsam errichten sie ihr Nest, das sie zumeist dauerhaft (d.h. auch über die Wintermonate hinweg und in den Folgejahren) beziehen, streicheln sich gegenseitig mit ihren Schnäbeln das Gefieder und singen zarte Lieder zur Stärkung ihrer Partnerschaft. Auch gelegentliche Geschenke fördern die Paarbindung, die insbesondere für das Verteidigen des gemeinsamen Reviers unabdingbar ist. Und ganz nebenbei sind Rabenvögel in der Lage, um Mitglieder ihrer Familie oder des Sozialverbundes zu trauern. Sie wachen an der Seite sterbender Vögel und versammeln sich, um einen kurzen Moment in Stille Abschied zu nehmen. I’m not crying, you are.

Die intellektuelle Großmacht im Reich der Vögel

Wer jetzt noch kein Fan ist, sollte wissen, dass Rabenvögel als die intelligentesten Vertreter der Vogelwelt gelten und über Fähigkeiten verfügen, die ansonsten nur bei Menschen, Menschenaffen, Elefanten oder Delfinen beobachtet werden können. So können Elstern sich beispielsweise selbst im Spiegel erkennen. Sie nehmen sich somit als eigenständige Individuen wahr – so wie wir Menschen dies auch tun. Woher wir das wissen? Ganz einfach: Man klebe einer Elster einen farbigen Punkt auf den Schnabel und sobald sie sich im Spiegel sieht, wird sie alles versuchen, diesen komischen Fleck wieder zu entfernen. Elstern erkennen also ihr eigenes Spiegelbild und wissen, wie sie aussehen (sollten) – anders als unser heißgeliebten Hunde oder Katzen.

Neben der Selbstwahrnehmung sind Rabenvögel auch in der Lage, Zusammenhänge zwischen einer Ursache und einer bestimmten Wirkung auszumachen. Sie können dadurch vorausschauend planen und taktisch handeln, zum Beispiel, wenn sie während einer roten Ampelphase Nüsse auf die Fahrbahn werfen, um diese von den anfahrenden Autos knacken zu lassen und schließlich in der nächsten Rotphase das nahrhafte Innere der Nuss aufzusammeln und zu verspeisen.

anonym, Corvus hawaiiensis in grass, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Noch beachtlicher ist jedoch, dass bestimmte Krähenarten wie die Hawaiikrähe (und andere) die Fähigkeit besitzen, aus Ästen eigenes Werkzeug für die Futtersuche zu erschaffen und dieses zielgerichtet einsetzen. Manche Krähen besitzen sogar ein Lieblingswerkzeug, das sie sorgsam über die Zeit aufbewahren – was wir von unseren menschlichen Hobbyhandwerkern zuhause ebenfalls kennen.

Die Intelligenz dieser Vögel, die so unterhaltsam fliegen, hüpfen und marschieren, liegt nicht nur in ihrem verhältnismäßig großen Hirn versteckt. Tatsächlich erwerben die Rabenvögel ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in ihrer vergleichsweise langen Kindheit, in der sie ihre Eltern aufmerksam beobachten und lernen – eine weitere Parallele zu uns Menschen. Und wie auch bei anderen sehr intelligenten Tierarten ist auch bei den Raben und Krähen ein ausgeprägter Spieltrieb vorhanden: so fahren sie gerne auf schneebedeckten Dächern Schlitten oder auf rotierenden Wetterstationen Karussell (eine eigene Beobachtung), fliegen in Saltos und Loopings durch die Lüfte oder lassen sich kopfüber von einem Ast herabhängen.  Manchmal ärgern sie andere Tiere regelrecht, beispielsweise Tauben oder Kängurus (auch hier bilden eigene Beobachtungen die Grundlage). Und das alles nur zu einem Zweck: zum Spaß.

Rabenvögel – die besseren Menschen?

Insofern sind Rabenvögel doch ein wenig unberechenbar und von Schabernack getrieben. Aber wenn das alles ist, was wir ihnen zur Last legen können, dann sollten wir uns lieber an die eigene Nase fassen. Denn wie so oft ist der Mensch auch bei den Raben und Krähen verantwortlich dafür, dass ihre Bestände teils drastisch zurückgegangen sind oder sich gerade erst wieder erholen – und dafür, dass manche Arten in der Natur ganz und gar ausgestorben sind.

Wer trotz der wunderbaren Eigenschaften dieser Vögel weiterhin Jagd auf diese machen möchte, der sollte gewarnt sein: Rabenvögel sind durchaus in der Lage, einzelne Menschen wiederzuerkennen, sich vergangene Schmähtaten zu merken und ihren Artgenossen davon zu berichten. Und sie können und wollen durchaus Rache nehmen.

Es gäbe noch so viel mehr über Rabenvögel und jede einzelne Gattung und Art zu erzählen. Aber die Quintessenz dieses Beitrags sollte sein, dass unser vermeintliches Wissen über Raben und Krähen auf Ignoranz, Unkenntnis und vor allem einem beruht: dem leichten Unwohlsein gegenüber diesen wunderbaren Tieren, die uns in vielen Eigenschaften und Verhaltensweisen überraschend ähneln.

Doch statt sie dafür zu fürchten, sollten wir ihnen Bewunderung entgegen bringen und Spaß dabei haben, ihnen in ihrem regen und intelligenten Treiben zuzusehen. Und wir sollten anerkennen, dass nicht wir allein die Krone der Schöpfung sind und unsere Intelligenz keine Entschuldigung dafür ist, uns über andere Lebewesen zu erheben und sie aufgrund von Habgier, Potenzproblemen, Zerstörungswut oder Unwissen und Furcht zu verfolgen und auszurotten.

Denn wie sagt man so schön:

„Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“

Was man von uns Menschen leider nicht behaupten kann.

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Nachschlag?

Teckentrup, B. (2021). Von Raben und Krähen* (2. Auflage). Berlin, Deutschland: Verlagshaus Jacoby & Stuart.

Lubbadeh, J. (2008, 19. August). Elstern erkennen sich selbst im Spiegel. Abgerufen 10. Oktober 2022 von https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/verhaltensforschung-elstern-erkennen-sich-selbst-im-spiegel-a-572949.html

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Warum gibt es diesen Wissenshappen?

Wir alle kennen sie, jene schwarzgefiederten Vögel, die als Vorboten von Unglück und Tod gelten und aus unserem Städte- und Landschaftsbild kaum wegzudenken sind: die Rabenvögel. Vieles wissen wir über Raben und Krähen zu erzählen, und schon immer haben sie in den Mythen und Legenden der Menschen einen wichtigen Platz eingenommen. Doch leider sind die meisten Überzeugungen und Vorurteile gegenüber diesen wunderbaren Tieren negativ geprägt, so dass sie zum Opfer menschlicher Verfolgung und Ausrottung wurden. Vor allem sind unsere Ansichten über Rabenvögel jedoch eines: zum Großteil völlig unbegründet und falsch.

Was sollte unbedingt verdaut werden?

Auch wenn Raben und Krähen ihren schlechten Ruf zu einem gewissen Anteil ihrem Dasein als Aasfresser verdanken, sind diese Vögel alles andere als bösartig und gefährlich. Im Gegenteil: sie zeichnen sich durch außerordentliche kognitive Fähigkeiten aus, können vorausschauend denken und besitzen zum Teil ein eigenes Bewusstsein. Darüber hinaus sind Rabenvögel allen Behauptungen zum Trotz vor allem eines nicht: schlechte Eltern. Und daher wird es Zeit, dass wir Raben und Krähen endlich als das erkennen, was sie tatsächlich sind: äußerst intelligente und soziale Lebewesen, fähig zu Fürsorge und Trauer – und letztlich dem Menschen, der Krone der Schöpfung, gar nicht unähnlich.

Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.

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Schlagwörter: Last modified: 12. September 2023