Auch wenn man im Herbst 2022 für eine solche Aussage in die Energiehölle kommt, möchte ich an dieser Stelle festhalten: Ich liebe Duschen. Ja, ihr habt richtig gelesen – eine schöne, ausgiebige Dusche zu nehmen, ist für mich eine echte Wohltat! Und abgesehen von allen damit verbundenen hygienischen Vorteilen, ist die Dusche auch ein Ort der Kreativität, Einsicht und Innovation.
Und das ist nicht nur meine persönliche Meinung: auch andere Menschen, darunter echte Experten, teilen die Ansicht, dass die Dusche ein wunderbarer Ort ist, um Probleme zu lösen, Ideen zu generieren und zu (teils bahnbrechenden) Erkenntnissen zu gelangen. Sie ist, um es ganz wissenschaftlich und sprachlich korrekt auszudrücken, ein Nährboden für Epiphanien, also jene „Aha“-Momente, die bereits den berühmten griechischen Mathematiker Archimedes (allerdings in der Badewanne, nicht beim Duschen) zu seiner Entdeckung des Auftriebsprinzips und damit zu seinem berühmten Ausruf verleiteten:
„Heureka!“*
In der Dusche kommen uns oft die besten Ideen, und das hat auch seine guten Gründe – und dazu zählt nicht die Marke oder der Duft unseres bevorzugten Duschgels. Vielmehr ist es der Zustand der Entspannung, der es unserem Gehirn ermöglicht, (unbewusste) Informationen auf teils neue oder gar ungewöhnliche Weise miteinander zu verbinden und somit einen Moment der neuen Erkenntnis zu schaffen.
Die Quadratur des Kreises – an der Supermarktkasse?
Doch nicht nur die Dusche ist der ideale Ort für überraschende Einsichten. Auch andere Tätigkeiten, die zu einem gewissen Maße anspruchslos sind, aber dennoch Aufmerksamkeit erfordern, können eine Epiphanie herbeiführen: besonders geeignet ist das Spazierengehen oder Wandern, das Warten im Supermarkt oder an einer Ampel oder auch händische Tätigkeiten wie etwa das Stricken. Das berühmteste Beispiel (neben Archimedes in seiner Badewanne) liefert jedoch Sir Isaac Newton, der große Physiker des 17. und 18. Jahrhunderts, der angeblich beim Faulenzen unter einem Apfelbaum die Theorie der Schwerkraft entwickelte – als ihm ein Apfel auf dem Kopf fiel.
Bedeutet das also, dass wir uns einfach öfter unter die Dusche stellen oder einen ausgiebigen Spaziergang gönnen sollten, um außerordentliche Eingebungen zu haben oder bahnbrechende Entdeckungen zu machen?
Leider nicht, denn ganz so einfach ist es dann doch nicht: die außerordentlichen Eingebungen der Wissenschaftsgeschichte fielen natürlich nicht einfach so vom Himmel wie der Apfel auf Newtons Kopf, sondern waren immer verbunden mit intensiven Phasen des Arbeitens uns Nachdenkens. Wir werden also nicht einfach mal so in der Supermarktschlange die Quadratur des Kreises lösen können, sondern müssten uns schon intensiv mit der Problematik auseinandersetzen, bevor unser Geist in einem Moment der Entspannung in der Lage wäre, dieses monumentale Problem zu lösen.
Geniales Abhängen – das Gehirn im kreativen „Default Mode“
Doch warum führt die Kombination aus Nachdenken und Entspannung zu überraschenden Geistesblitzen?
Einen Erklärungsansatz bietet die Tiefenpsychologie nach Carl Gustav Jung, der Epiphanien als jenen Moment interpretierte, in dem unser Unbewusstes bzw. Unterbewusstsein mit unserem bewussten Denken in Kontakt tritt. Es handelt sich also möglicherweise um Informationen oder Ideen, die bereits in unserem Inneren schlummern, aber bisher noch nicht bewusst von uns gedacht wurden, also das „ungedachte Bekannte“. Wir werden folglich nicht aus heiterem Himmeln mit einer göttlichen Einsicht gesegnet, sondern tragen die Lösung eines Problems oder eine vollkommen neue Idee bereits in unserem Unterbewusstsein mit uns herum – bis in einem Moment der Entspannung unser Geist quasi über diese schlummernde Erkenntnis stolpert. Und schlummern ist in diesem Falle sogar wörtlich zu verstehen: so kam beispielsweise Dmitri Mendelejew nach einigen Tagen des intensiven Nachdenkens im Traum auf die Idee, ein Periodensystem der Elemente zu erstellen.
Das unterschwelligen Genie in uns, dem wir aus neurologischer Perspektive unsere Eingebungen verdanken, bezeichnet man in der Wissenschaft als Default Mode Network. Diesen kognitiven Zustand erreichen wir dann, wenn wir aufhören, gezielte Gedanken zu verfolgen oder mit unserer Umwelt zu interagieren und geistig einfach nur „abhängen“ – eben das, was wir machen (bzw. nicht so viel davon), wenn wir verträumt in der Badewanne liegen oder gedankenverloren unter der Dusche stehen. Und in genau diesem Zustand muss sich unser Gehirn befinden, um träumerisch-entspannt auf Informationen außerhalb bekannter Denkmuster zugreifen zu können.
(Das Gehirn ist im Default Mode übrigens keineswegs abgeschaltet: tatsächlich werden verschiedene Gehirnregionen, die z.B. beim Problemlösen abgeschaltet werden, einfach beim Nichtstun aktiv.)
Pures Glück, echte Genialität – oder einfach das richtige Timing?
Wir wissen nun also, dass wir für einen Geistesblitz einerseits bewusste und zielgerichtete Informationen über eine Thematik benötigen, andererseits aber unserem Gehirn die Möglichkeit geben müssen, in einen Zustand der Entspannung, des geistigen Abschaltens zu wechseln.
Doch eine Zutat fehlt noch zur erfolgreichen Eingebung: das richtige Timing. Denn wenn wir uns zu lange oder zu intensiv mit einer Fragestellung beschäftigen, fokussiert sich unser bewusstes Denken so stark auf die vorliegende Thematik, dass es vermeintlich irrelevante Informationen daran hindert, in unser Bewusstsein zu rücken – selbst, wenn eben diese Informationen das Problem lösen könnten. Wenn wir uns jedoch zu kurz mit unserer Fragestellung auseinandersetzen, sammeln wir möglicherweise zu wenig relevante Anhaltspunkte, so dass unserem Geist ein wichtiges Puzzleteil fehlen könnte.
Wir müssen uns also so lange mit einer Problematik beschäftigen, dass wir alle wichtigen Hintergründe erhalten, aber kurz genug, um einen blockierenden Problemfokus unseres Gehirns zu vermeiden, der neue Ideen, Informationen und Lösungsansätze ausblenden könnte. Und dann müssen wir vor allem eines: uns im richtigen Moment entspannen und den Geist wandern lassen.
Geniale Eingebungen sind also nicht nur reine Glücksfälle oder purer Zufall, sondern ein echtes Kunststück unseres Gehirns, das uns in eine Reihe mit Geistesgrößen wie Archimedes oder Newton stellt und auf das wir zu Recht stolz sein können. Und so gesehen stellt auch das ausgiebige Duschen oder Baden im Krisenherbst 2022 nicht nur einen verschwenderischen Luxus dar, sondern ist vor allem eines: schwere (Gehirn-)Arbeit.
Auch mein Gehirn hat schwer gearbeitet, als mir die Idee für diesen Artikel kam – selbstverständlich an diesem einen, besonderen Ort: meiner Dusche.
*Den Ausruf „Heureka!“ („Ich habe es gefunden!“) findet man auch oft in der Variante „Eureka!“. „Heureka!“ scheint der ursprünglichen Aussprache am nächsten zu kommen, doch „Eureka!“ ist mittlerweile genauso akzeptiert und z.B. im angloamerikanischen Sprachraum stärker verbreitet.
Nachschlag?
Schwaller, F. (2022, 26. Oktober). Warum wir die besten Ideen unter der Dusche haben. Abgerufen 27. November 2022 von https://www.dw.com/de/warum-wir-die-besten-ideen-unter-der-dusche-haben/a-63544526
Hampton, D. (2018, 29. April). The Science Behind Why You Should Switch Off Your Thinking Brain to Spark Creativity and Smart Decisions. Abgerufen 27. November 2022 von https://thebestbrainpossible.com/brain-creativity-decisions-default-mode-network-aha/
Wikipedia (2022). In Wikipedia, die freie Enzyklopädie. Abgerufen 27. November 2022 von https://en.wikipedia.org/wiki/Eureka_(word)
Warum gibt es diesen Wissenshappen?
Die heimische Dusche oder Badewanne ist nicht nur ein wunderbarer Ort der Körperhygiene (und im Jahre 2022 auch des Geldverschwendens), sondern auch ein Ort, an dem wir besonders oft großartige und spontane Ideen haben. Schon Archimedes wurde unerwartet in der Badewanne von einem Geistesblitz getroffen, der ihn zu seinem berühmten „Heureka!“-Ausruf verleitete. Und auch andere Geistesgrößen, wie z.B. Sir Isaac Newton, gelangten zu bahnbrechenden (wissenschaftlichen) Einsichten, als sie gerade nichts anderes taten, als einfach nur rumzuliegen oder gar zu schlafen. Und schuld daran ist ein ganz bestimmter Zustand unseres Gehirns, der sogenannte „Default Mode“, der es uns ganz entspannt ermöglicht, bekannte Denkmuster zu verlassen und „out of the box“ zu denken.
Was sollte unbedingt verdaut werden?
Durch intensives Nachdenken konnten schon viele knifflige Probleme gelöst werden – wir alle haben schon mal erlebt, dass wir irgendwann zum Ziel gelangen, wenn wir nur hart genug dafür arbeiten. Doch auf kognitiver Ebene kann es hilfreich sein, wenn wir uns nicht pausenlos mit einer bestimmten Fragestellung beschäftigen, sondern immer wieder in Phasen der Entspannung wechseln. Denn erst wenn der Geist in der Lage ist, auch abseits bekannter Wege zu wandern, können wir zu unerwarteten und vollkommen neuen Einsichten (den sogenannten Epiphanien) gelangen, die wir vielleicht schon länger unbewusst mit uns herumtragen. Doch Entspannung allein reicht leider nicht: für einen Geistesblitz benötigt es gründliche Vorarbeit – und letztlich auch das richtige Timing.
Disclaimer:
Der obenstehende Text wurde auf Grundlage der gelisteten Quellen erstellt, ist aber explizit unter Berücksichtigung der subjektiven Erkenntnisse, Vorlieben und dem persönlichen Verständnis der Autorin aufzufassen. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Ausarbeitung mit akademischen Anspruch, sondern um eine Zusammenfassung von Geschehnissen und Erzählungen nach individuellem Stil und Empfinden der Autorin. Ausnahmslos jeder Wissenshappen möchte Freude am Wissen schaffen, aber nicht als Fachliteratur verstanden werden. Über Anmerkungen, Ergänzungen, Lob oder Kritik freut sich die Autorin und lädt jeden Leser dazu ein, über die Kommentarfunktion Kontakt aufzunehmen.